Read Ebook: Die Witwe von Pisa by Heyse Paul
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Ebook has 88 lines and 12746 words, and 2 pages
Dennoch, sagte ich, reicht dieses Verm?chtnis schwerlich hin, Euch ganz frei zu machen. Die Gerichte sind sehr eigensinnig. Sie verlangen ganz andere Beweise, ehe sie einen Menschen aus dem Register der Lebendigen streichen.
Darum ist eben der Oheim nach Florenz, versetzte sie gelassen. Er kennt einige Minister und hofft, dass es ihm gelingen werde, die legalen Zeugnisse zu erhalten. Mein Mann ist nicht unbekannt, und sein pl?tzliches Verschwinden hat Aufsehen gemacht. Die Wahrheit muss endlich an den Tag kommen.
Damit ging sie wieder an ihren Schreibtisch, verschloss die teuren Andenken an ihren Seligen und setzte sich ans Klavier, um nun noch durch--den Zauber der T?ne auf mich zu wirken. Aber ich konnte nicht mehr! Es war mir in der N?he dieses entsetzlichen Frauenzimmers zu Mute, als h?tte ich mich mit einer Wachsfigur eingelassen, in deren hohlem Innern eine Spieluhr angebracht sei. Die Haare standen mir zu Berge, als sie ihr beliebtes "Ah sin' all' ore" anstimmte; ich sch?tzte Kopfweh vor und st?rmte aus dem Hause ins Freie.
Ich fl?chtete zu meinem lieben "Nettuno", aber ich konnte keinen Bissen hinunterbringen; alles widerstand mir, bis auf den Wein, dem es aber doch nicht gelang, mich ganz in Bewusstlosigkeit einzutauchen. Immer sah ich die beiden Fl?schchen und die kaltbl?tigen schwarzen Augen darauf gerichtet und h?rte den Klang der Spieluhr aus der hohlen Automatenbrust. Dass ich es unter diesem Dach nicht l?nger aushalten k?nne, stand bei mir fest. Aber wie sollte ich entrinnen, ohne dass dieses erbarmungslose Weib Himmel und H?lle in Bewegung setzte, um mich aus jedem Schlupfwinkel, den ich in der Stadt nur ersinnen k?nnte, wieder hervorzuziehen? Schade, dass Toskana keine Abruzzen hat! Wie gern w?re ich ebenfalls in die H?nde der Briganten geraten, unter der Bedingung, dass sie mich um keinen Preis wieder ausl?sen d?rften.
Endlich brachte mir der treffliche rote Wein eine Erleuchtung. Ich musste nicht nur das Haus, sondern die Stadt verlassen, wenn auch meine Studien am Kampanile noch sehr einer Revision bedurft h?tten. Die Schwierigkeit bestand vor allem darin, wie ich, ohne Aufsehen zu erregen, meine Habseligkeiten an den Bahnhof schaffen sollte. Aber in der Desperation hatte ich einen Einfall, den ich Ihnen f?r k?nftige Notf?lle empfehle, sei es im Leben, sei es in Novellen oder Lustspielen. Ich kaufte noch denselben Abend einen Koffer, den ich in den "Nettuno" tragen liess und meinem getreuen Kellner ?berantwortete. Das weitere sollte der morgende Tag bringen.
Erst aber brachte die Nacht noch eine letzte Gefahr, nicht die geringste von allen. Stellen Sie sich vor, was diese Lucrezia f?r einen Spuk arrangierte. Ich war zu Bett gegangen, wie gew?hnlich, ohne ihr noch eine gute Nacht gew?nscht zu haben, und die Hoffnung auf ein gl?ckliches Entkommen liess mich rasch und sanft einschlafen. Da werde ich etwa um Mitternacht durch ein heftiges Bellen des H?ndchens und einen pl?tzlichen Lichtschein aufgeweckt und sehe meine sch?ne Witwe vor meinem Bette stehen in einer sehr fragw?rdigen Gestalt, nicht gerade unschicklich, aber immerhin das verf?nglichste Kost?m, in dem sie mir noch erschienen war. Sie haben ja wohl die "Nachtwandlerin" gesehn und den "Fra Diavolo"? Aus einer dieser Opern mochte meine Primadonna das weisse gestickte Unterr?ckchen noch ?brig behalten haben, in weichem sie sich zu mir fl?chtete, die Haare aufgel?st ?ber die sch?nen Schultern, das Gesicht tragisch verzerrt. Um Gottes willen, was ist geschehen? rief ich und st?tzte mich im Bette auf.--Er ist mir erschienen, wie er leibte und lebte, sagte sie; er steht noch drinnen an meinem Bette, ich bin halbtot vor Schrecken und getraue mich nicht wieder hinein!--Possen! sagte ich, ganz ?rgerlich. Ihr habt getr?umt, Lucrezia. Legt Euch wieder schlafen und lasst mich in Frieden,--Nein, nein, sagte sie; kommt und seht ihn selbst und sagt dann, ob ich tr?ume.--Und dabei fasste sie meine Hand, wie beschw?rend, mit ihren beiden H?nden; es fehlte nur noch, dass sie wie auf dem Theater zu singen anfing. Da wurde mir die Sache doch zu toll. Gut, sagte ich, ich will jetzt aufstehen und mitkommen. Steht er wirklich als Geist an Eurem Bette, so dass ich ihn mit diesen meinen Augen sehe, so ist es meine Ritterpflicht, mir in Eurem Namen diese ganz zwecklosen und unbequemen Nachtbesuche zu verbitten. Ist aber von einem Gespenst nichts zu sehen, so tut es mir herzlich leid, aber ich muss auf Eure Hand verzichten, Lucrezia; denn ich habe einen angeborenen Abscheu vor Nachtwandlerinnen und bin fest entschlossen, lieber ledig zu bleiben, als eine Somnambule zu heiraten.--Indem ich dies sagte, machte ich Miene aufzustehen. Aber sie liess es nicht so weit kommen. Sie sch?ttelte abwehrend ihre schwarzen Haare, winkte mir mit den sch?nen weissen Armen eine gute Nacht und verschwand ohne jede weitere Auseinandersetzung.
Nun musste ich trotz meines ?rgers aus vollem Halse lachen und schlief dar?ber friedlich wieder ein, wurde auch nicht zum zweiten Male gest?rt. Aber die ganze Aff?re best?rkte mich nat?rlich in meinem Entschluss, mich heimlich davonzuschleichen. Denn der Oheim wurde t?glich zur?ckerwartet, und wer konnte wissen, was sie dem bereits ?ber mich geschrieben, und wie weit dieser Ehrenmann seine sch?ne Nichte durch mich "kompromittiert" glauben mochte. Ich liess mir am Morgen nicht das geringste merken, zeichnete erst eine Welle, ging dann, als die Strasse schon sehr belebt war, wie gew?hnlich aus, ein P?ckchen unter dem Arm, das niemand auffiel und in dem ich einen Teil meiner W?sche nach dein "Nettuno" transportierte, wo mein neuer Koffer ?bernachtet hatte. Auf die Art schaffte ich im Laufe des Vormittags nach und nach meine s?mtliche Habe aus dein Hause, und als ich zuletzt die Risse und Zeichnungen in einen grossen Blechzylinder verpackt den ?brigen Sachen nachtrug, sah es doch in meinem Zimmer nicht anders aus als sonst, da ich den leeren Koffer, einige leere Mappen und mein Waschger?t dem Feind als Beute zur?ckgelassen hatte. Auch die t?rkischen Pantoffeln des Seligen standen mit der unschuldigsten Miene von der Welt unter dem Bette. Die Miete hatte ich auf einen Monat vorausbezahlt.
Nun k?nnen Sie sich denken, mit welchem Hochgef?hl der Befreiung und Errettung ich die sch?ne Strasse nach La Spezia hinsauste, wie ein Verbrecher, der zu lebensl?nglichem Ah sin' all' ore all' ore estreme verurteilt war und gl?cklich ausgebrochen ist. Die Gegend ist dort so sch?n, dass es mich zu jeder anderen Zeit gewiss verdrossen h?tte, auf der Eisenbahn hindurchzufliegen. Aber wer eine z?rtliche Witwe zur?ckl?sst, kann nicht rasch genug von der Stelle kommen. Erst als ich sp?t abends in La Spezia ankam und in der Eroce di Malta abstieg, glaubte ich mich geborgen und ass, trank und schlief mit leichtem Herzen. In meinem Zimmerchen war nur ein ganz kleiner Tisch, auf dem man kaum einen Waschzettel schreiben konnte. Aber--so wandelbar ist das Gem?t des Menschen--er gefiel mir in seiner Zwerghaftigkeit ganz ausnehmend, und ich konnte nicht ohne stillen Schauder an jenen Riesen zur?ckdenken, der mich ins Netz meiner Armida gelockt hatte.--Seit Wochen war ich nicht so fr?hlich aufgewacht wie am andern Morgen, und weil es ein wundervoller Tag war, die reinste Junisonne und das Meer spiegelglatt, bcschloss ich, eine Fahrt auf dem Golf zu machen nach dem alten Fischer- und Piratennest Portovenere, von dem mir meine Freunde in Rom so viel erz?hlt hatten. Da der geringe Wind uns entgegenstand, musste mein alter Schiffer zu den Rudern greifen, und zwei ganze Stunden brauchten wir, bis wir um das Vorgebirge bogen und nun der verwitterte H?userhaufen, das malerische Kirchlein und die Insel Palmaria gegen?ber in der vollen Sommersonne vor uns auftauchten. Sie werden diesen wundersamen Erdenwinkel ohne Zweifel auch besucht haben. Ist es nicht wirklich, als bef?nde man sich da viele Meilen s?dlicher in einem jener Klippennester am Busen von Salern, wo noch Abk?mmlinge der griechischen Kolonisten in homerischer Unbek?mmertheit ihre Tage hinleben? Derselbe sch?ne Menschenwuchs, dieselbe vors?ndflutliche Kochkunst und ein urweltlicher Schmutz, der in allen Ecken bergehoch versteinert. Ich traute meinen Augen nicht, als ich die einzige Hauptgasse hinaufschlenderte durch die Reihen der spinnenden, singenden und schwatzenden Weiber, die mit losen Haaren und halb im Hemde unter den T?ren sassen und mich anstarrten wie ein Meerwunder, das die Wellen eben ausgespien. Ach, und die herrliche Vegetation, das beneidete Aloe-Unkraut auf den Mauertr?mmern der verfallenen Festungswerke, Kaktus, Wein und Oliven bunt durcheinander in den G?rtchen hinter den grauen H?usern, und die kolossalen Feigenb?ume, die sich vor Fr?chten nicht zu lassen wussten! Wenn man sich in der reinlichen Toskana einen Monat lang herumgetrieben hat, tut einem diese R?ckkehr in das Paradies, das der Besen einer l?blichen Polizei noch niemals ausgefegt hat, ?ber alle Massen wohl. Ich wurde nicht m?de, die G?sschen hinauf- und hinunterzuklettern, aus den leeren Fensterb?gen des alten Kirchleins auf dem ?ussersten Felsenvorsprung in die sch?ne Brandung hinunterzustarren, und dann wieder im Schatten der Festungsmauer im d?rren Grase zu liegen und ?ber die weissen D?cher weg auf den blauen Golf hinabzusehen, wo die Schiffe kamen und gingen, alles ganz wie vor tausend Jahren, bis auf die Rauchwolken, die aus den Schornsteinen der Dampfer gen Himmel stiegen. Ich war so v?llig der Gegenwart entr?ckt, dass ich auch meine j?ngsten Abenteuer nur wie etwas l?ngst Vergangenes bedachte und mich sogar auf den Namen meiner Witwe einen Augenblick nicht mehr besinnen konnte.
Endlich trieb mich denn doch der Hunger wieder in das Nest zur?ck, und nachdem ich einige Male zwischen den beiden H?usern auf und ab gewandert war, ?ber deren T?re albergo e trattoria geschrieben stand, entschied ich mich f?r das obere, vor dessen T?r ein paar piemontesische Soldaten Limonade gazeuse tranken und Karten spielten, w?hrend das andere von Matrosen wimmelte. Drinnen sah es freilich hier wie dort zigeunerm?ssig genug aus. Aber die gutm?tige Wirtin wies mich eine Treppe hinauf in den "Salorie" und versprach, mir in f?nf Minuten ein Mittagessen herzurichten. W?hrend ich darauf wartete und die Tochter, ein stummes halbw?chsiges M?dchen, den Tisch deckte, sah ich mir die Bilder an, die eingerahmt an den W?nden hingen, einige franz?sische Stahlstiche aus der Geschichte von Paul und Virginie, eine Madonna, mit goldenen Herzen beklebt, und die italienischen Nationalheiligen: Cavour, Garibaldi und der K?nig-Ehrenmann. Der Saal hatte noch eine T?r zur Linken. Ohne mir was dabei zu denken, hatte ich schon die Klinke in der Hand, als die Wirtin eben hereintrat und mit einer halb erschrockenen, halb unwilligen Geb?rde mir winkte, von dieser T?re zur?ckzubleiben. Ich entschuldigte mich, dass ich es ganz arglos getan, um zu sehn, ob sie nicht noch Zimmer h?tten, wo man etwa ?bernachten k?nne. Nein, nein, gab die Frau hastig zur Antwort. Die ?brigen Zimmer brauchen wir selbst.--Ich tr?stete mich leicht hier?ber. Denn der Gedanke, in dieser verr?ucherten Herberge hausen zu m?ssen, war nicht eben verf?hrerisch. So setzte ich mich zu Tische und fand das Essen, mit Ausnahme einer fossilen Kotelette und des ranzigen ?les-, das sie mir an die gr?nen Bohnen gegossen hatten, noch ertr?glicher, als ich gef?rchtet. Sie trugen mir ein paar delikate gebackene Fischchen auf, und der Wein war sehr trinkbar, so dass ich, nach dem heissen Tage, mich in vollen Z?gen daran labte und noch ehe sie mir die trockenen Feigen und die versteinerten Biskuits zum Nachtisch gebracht hatten, auf dem Stuhl, wo ich sass, in einen festen Nachmittagsschlaf versank.
Ich mochte wohl ein paar Stunden in dem totenstillen Saal geschlummert haben, als mich pl?tzlich ein wunderliches Klingen ganz in meiner N?he aufweckte. Ich ?ffnete die Augen, blieb aber ganz ruhig sitzen und horchte umher. Es klang, als w?rde auf einem uralten Klavezimbel gespielt, und die T?ne kamen aus dem Zimmer nebenan, das zu betreten mir die Wirtin verboten hatte.
Dass ich neugierig wurde und auf den Zehen an die T?re schlich, um durchs Schl?sselloch zu sehen, werden Sie mir nicht verdenken. Wenn bloss ihr Novellisten das Vorrecht h?ttet, in fremden L?ndern eurer Neugier die Z?gel schiessen zu lassen, k?nnten wir andern ehrlichen Menschen nur lieber gleich zu Hause bleiben. Und welches Gl?ck, dass ich mich hier aufs Horchen legte! Zwar die Musik verriet mir nicht viel. Eine heisere M?nnerstimme sang allerlei abgerissene Verse eines Operntextes, von denen ich nur die ?blichen Naturlaute:
Deh perfida! Ah barbaro! und:
Cottie? Tiranna! O dio! Strappami il cor dal seno--
verstand. Das alte Instrument stand an der Wand gegen?ber, so dass der S?nger, der davor sass, mir den R?cken zugekehrt hatte. Aber jetzt drehte er sich nach der Seite, um in einem Haufen geschriebener Noten zu w?hlen, die neben ihm auf dem Bette lagen. Und nun raten Sie einmal, wer es war?
Doch nicht der verr?ckte Bariton, Tobia Seresi?
Noch toller! Noch erstaunlicher! So abenteuerlich, dass ich Ihnen nicht raten w?rde, dies zu erfinden, und nicht zumuten k?nnte, es zu glauben, wenn ich es nicht erlebt h?tte: Sor Carlo, der Mann meiner Witwe!
Das ist stark, sagte ich. Ich bin sehr geneigt zu glauben, dass der Wein von Portovenere Ihnen zu dieser Vision verhalf, oder dass alles nur ein Sommernachmittagstraum war.
Sie irren sich sehr, fuhr er fort. H?ren Sie nur weiter. Dass ich anfangs selbst zu tr?umen meinte, k?nnen Sie sich wohl denken. Aber es war Zug f?r Zug dasselbe Gesicht, das ich ?ber dem Sofa der Frau Lucrezia unter Glas und Rahmen oft genug studiert hatte.
Und die Ohren? fragte ich.
Die konnte ich nicht sehen. Die Haare schienen schon seit Monaten nicht mehr geschnitten worden zu sein und hingen dicht um den Kopf bis auf die Schultern herab. In der ?berraschung muss ich wohl an der T?r gerappelt haben. Denn pl?tzlich drehte er sich vollends herum und rief: Seid Ihr's, Frau Beatrice?--So hiess n?mlich die Wirtin.
Nun war ich doch einmal verraten und beschloss, mich lieber ganz und gar zu enth?llen. Ich rief ihm durchs Schl?sselloch zu, die Frau sei es nicht, aber ein Freund, der zwei Worte mit ihm zu sprechen w?nsche. Dabei nannte ich seinen Namen und sah, wie er heftig erschrak und einen Augenblick zu ?berlegen schien, ob er sich nicht verleugnen solle. Aber was konnte das helfen, wenn er doch einmal von einem Fremden entdeckt war? So schloss er denn die T?r auf, und ich werde niemals den wunderlichen Blick vergessen, mit dem er mich musterte, etwa wie Lazarus, als er von den Toten auferweckt wurde. Lieber Sor Carlo, sagte ich, was zum Teufel haben Sie gemacht? Warum begraben Sie sich bei lebendigem Leibe in diesem elenden Fischernest, w?hrend ganz Pisa in Alarm ist um Ihr Verschwinden und Ihre trauernde Witwe Tag und Nacht keine Ruhe hat bis sie-Hier fiel er mir zum Gl?ck in das Wort; ich h?tte sonst am Ende die gute Lucrezia verleumderischerweise als ganz untr?stlich geschildert.
Was? sagte er. Meine Witwe? Weiss denn meine Frau nicht, dass ich wohl aufgehoben bin?
Nun erz?hlte ich ihm, nat?rlich ohne meine eigenen zarten Beziehungen zu dieser liebevollen Seele zu verraten, wie ich die Dinge in Pisa gefunden, gestand ihm auch, dass ich in seinem Hause gewohnt und Zeuge von dem Kummer der einsamen Verlassenen gewesen sei. Wie ich aber auf die beiden Reliquienfl?schchen zu reden kam, unterbrach er mich in heftiger Aufregung. Unerh?rt! rief er und zerw?hlte sich das Haar, so dass ich nun das Vorhandensein eines ungestutzten Ohrenpaares konstatieren konnte. O ich bin sch?ndlich betrogen worden! Man hat mir eine Rolle in einem Possenspiel zugeteilt, die mich bis an mein Lebensende l?cherlich machen wird!--So schrie und tobte er in seinem kleinen St?bchen herum, und es dauerte lange, bis er sich so weit beruhigte, um sich aufs Bett zu setzen und mir den Zusammenhang dieser tragikomischen Geschichte zu enth?llen.
Da er mich mit Recht wie einen Hausfreund betrachtete--ich war es gottlob nicht in der verwegensten Bedeutung--so suchte er durchaus nichts zu verstecken oder zu besch?nigen, sondern erz?hlte mir von Anfang an seine Liebes-, Heirats- und Leidensgeschichte. Er hatte seine Frau auf der B?hne kennengelernt und sich ebenso heftig in ihre Sch?nheit verliebt, wie er ihren Gesang verabscheute. Denn sie habe so ganz unheilbar falsch gesungen, dass sie die Ohren ebenso gemartert habe, wie sie die Augen entz?ckte. Er gestand mir sogar, seiner festen ?berzeugung nach sei der arme Tobia Seresi bloss dadurch um den Verstand gekommen, dass er gen?tigt gewesen sei, einen ganzen Winter hindurch Duette mit ihr zu singen. Unter solchen Umst?nden habe er, Sor Carlo, sich endlich nicht anders zu helfen gewusst, als indem er sie von der B?hne wegheiratete. Aber leider habe das h?usliche Gl?ck und ihre Hausfrauen- und Mutterpflichten das verh?ngnisvolle Talent nicht ersticken k?nnen. Dazu nun ihre Liebhaberei f?r ger?uschvolle Haustiere, das unvermeidliche Kindergeschrei, der L?rm auf der Strasse--kurz, seine Nerven h?tten endlich so sehr gelitten, dass an Komponieren kein Gedanke mehr gewesen sei. Nun habe sie alles M?gliche ihm zuliebe getan. Aber sein Geh?r sei jetzt schon so ?berreizt gewesen, dass er sich eingebildet habe, sie niese sogar falsch und ihre Schuhe knarrten um einen Viertelston zu hoch. Endlich habe er sich entschlossen, eine Erholungsreise nach Neapel anzutreten, und hier sei das Leiden auch bald milder geworden, zumal da er in dem stillen Landhause eines Schulfreundes, eines Arztes, ganz ungest?rt seinen Lieblingsarbeiten nachgehen konnte. ?berdies fand er endlich hier unten einen jungen Poeten, der ihm einen Operntext ganz nach seinen W?nschen dichtete. jetzt nur sechs Monate in ungest?rter Arbeitsruhe, und er wollte ein Werk zustande bringen, das ihn auf einen Schlag in ganz Italien ber?hmt machen sollte. Aber schon kamen die ungeduldigsten, sehns?chtigsten Briefe seiner jungen Frau. Wenn er nicht zur?ckkehre, werde sie alles, Haus und Kinder, im Stiche lassen und ihren heissgeliebten Carlo aufsuchen. Und sie w?re es imstande gewesen! seufzte der Gatte; denn sie konnte nicht ohne mich leben, und ihre Eifersucht war nicht die geringste meiner h?uslichen Annehmlichkeiten.--In dieser Not fragte er seinen Freund um Rat, der ebenfalls nichts lebhafter w?nschte als den Ruhm und das sch?pferische Gl?ck des Freundes. Lass du mich nur machen! habe jener gesagt. Ich verspreche dir, dass sie dich bis zur Vollendung deines Werks in Ruhe lassen soll. Nur musst du mir dagegen geloben, in der ganzen Zeit weder an sie zu schreiben, noch dich vor irgend einem Menschen sehen zu lassen, der ihr m?ndlich Nachricht von dir bringen k?nnte. Im ?brigen werde ich es so einrichten, wie es f?r alle Teile das zutr?glichste ist.--Diesen Vertrag sei er unbedenklich eingegangen, da er schon ganz von seiner Arbeit erf?llt gewesen sei und ja auch gewusst habe, dass inzwischen zu Hause alles wohl stehe. Die ersten Monate des Winters habe er in einem stillen Hause nahe bei Amalfi zugebracht und hier die Skizze seiner Oper vollendet. Sein Freund, der Arzt, habe ihn mit Geld versehen und alle vier Wochen geschrieben, Frau und Kinder seien wohl und liessen ihn gr?ssen. Als er dann soweit war, dass die vollst?ndige Partitur geschrieben werden musste, was er ohne Instrument nicht gut zustande bringen konnte, habe er Amalfi verlassen und sich nach einem kurzen Besuch in Neapel nach Portovenere zur?ckgezogen, wohin von La Spezia aus ein altes Klavier leichter zu schaffen war. Hier hause er nun friedlich seit f?nf Monaten. Nur noch eine Woche, so sei auch das Finale des letzten Aktes gl?cklich instrumentiert, und nun erfahre er zu seinem Entsetzen, dass sein Freund seine Arglosigkeit aufs Schn?deste missbraucht und auf seine Kosten eine Farce in Szene gesetzt habe, die ihn, da er eben an die Schwelle des Ruhmes gelangt sei, ohne Erbarmen vor ganz Italien zum Gel?chter machen m?sse.
Fassen Sie sich nur, sagte ich, w?hrend ich selbst M?he hatte, mein Lachen zu unterdr?cken. Es ist noch gar nichts verloren. Von den beiden herrenlosen Ohren, die Ihr zynischer Freund auf der Anatomie irgend einem stillen Mann abgeschnitten haben wird, wissen bis jetzt sehr wenige. Ihre trauernde Witwe hat sie nur den n?chsten Teilnehmenden gezeigt. Im ?brigen--was ist da zu lachen, wenn ein gl?cklicher Familienvater vor l?rmenden Kindern und Haustieren die Flucht ergreift, um irgendwo in der Stille ein unsterbliches Werk zu schaffen? Freilich ist es nachgerade Zeit, dass Sie nach Hause kommen; denn Ihre sch?ne Frau wird nat?rlich umworben, wie weiland Penelope, und wenn Sie l?nger tot bleiben-Herr, sagte er und fasste mich erschrocken am Arm, Sie wollen doch nicht etwa sagen-Nicht das geringste, was Ihrer Ehre zu nahe treten k?nnte, fuhr ich eilig fort. In ganz Pisa kann niemand Ihrer Frau etwas B?ses nachsagen, und dass sie mir eines ihrer ?berfl?ssigen Zimmer abgetreten, kann sie vor ihrem Gewissen verantworten. Ich habe eine Braut in Deutschland und gebe Ihnen meine heiligste Versicherung, dass mir in Pisa nichts ferner lag als Liebesaff?ren.
Er sah mich mit einem forschenden Blicke an, der mich ?berzeugte, dass seine alte Leidenschaft f?r diese Frau durchaus noch nicht erloschen sei. Als ich ihm aber von meinem Werk ?ber den Schiefbau erz?hlte, beruhigte er sich, da er mich nun f?r einen ausgemachten Narren hielt. Ich will Ihnen glauben, sagte er. Aber was soll ich jetzt beginnen? Raten Sie mir! Ich war mein Lebtag ein ganz unpraktischer Mensch und habe nur f?r meine Kunst gelebt.
Wissen Sie was? sagte ich. Das beste wird sein, ich fahre sogleich nach Pisa zur?ck und bereite Ihre Frau auf Ihr Wiedererscheinen vor. Wenn Sie pl?tzlich unangemeldet ins Zimmer tr?ten, k?nnte die z?rtliche Seele den Tod vor Schrecken haben, oder doch zum wenigsten ein Nervenfieber. Sie packen indes Ihre Oper ein und folgen mir morgenden Tages nach.
Das schien denn auch dem guten Mann, der ziemlich kopflos und tiefsinnig immer noch auf dem Bette sass, das zweckm?ssigste, und so nahmen wir kurz Abschied voneinander; ich bezahlte mein Mittagessen und wanderte die schmale Gasse hinunter, die jetzt schon recht k?hl und d?mmrig war. Nun erst konnte ich stille f?r mich in Lachen ausbrechen und mich an dem tiefen Sinn in diesem kindischen Spiel erg?tzen. je mehr ich dr?ber nachdachte, je mehr musste ich der Menschenkenntnis des Neapolitaners Gerechtigkeit widerfahren lassen. Denn dass Frau Lucrezia mit gelinderen Mitteln nicht zu bewegen gewesen w?re, auf ihren Carlo zehn Monate zu verzichten, stand auch mir felsenfest. Das Lustige an der ganzen Posse war mir aber der Vorgenuss der Schadenfreude, mit der ich in mein Zimmer in Pisa zu treten dachte, auf einmal wieder ein freier Mann und ohne Gefahr, "sin' all' ore, all' ore estreme" im Schatten des schiefen Turmes f?r das "zweite Lebensgl?ck" meiner sch?nen Wirtin haften zu m?ssen.
Was aber geschieht? Wie ich schon das verfallene Tor durchschritten habe und um die Ecke biege, um unten an dem Landungsplatz meinen alten Schiffer wieder aufzutreiben, sehe ich eine verschleierte Dame mir entgegenkommen, die eben aus einem Nachen gestiegen war und bei meinem Anblick einen unverst?ndlichen Ausruf tut. Ich achte nicht weiter darauf, da ich immer nur Pisa im Kopfe habe, und will spornstreichs an ihr vorbei. Pl?tzlich ergreift sie mich beim Arm, schl?gt den Schleier zur?ck und ruft mit dem Tone sittlicher Entr?stung: Ha, Verr?ter, meint Ihr mir auch hier zu entrinnen?--Meinen Schrecken k?nnen Sie sich denken. Lucrezia! rief ich und weiter konnte ich nichts sagen, denn ich ?berlegte im Nu, wie sehr sie ihre Lage durch diesen Geniestreich verschlimmerte. Was sagen Sie aber dazu? War mir dieses unentrinnbare Frauenzimmer richtig nachgereist und machte Miene, mich zu Lande und zu Wasser, lebend und tot, wieder einzufangen. Um des Himmels willen! rief ich und zog sie in der ersten Best?rzung in den dunklen Torbogen, was f?llt Ihnen ein, Lucrezia? Wissen Sie denn--O Ferdinando, unterbrach sie mich mit sehr erhabener Geb?rde, ich fl?chte mich zu Euch vor der Bosheit der Menschen. Der Oheim ist aus Florenz zur?ck. Er ist wie rasend und hat geschworen, mich umzubringen, wenn der Fremde, der hinter seinem R?cken sich bei mir eingeschlichen habe, meine Ehre nicht wiederherstelle, wie es einem Galantuomo gezieme. Die Tante hat ihn vergebens zu bes?nftigen gesucht, er will von nichts h?ren; er sagt nur immer, dass er Euch nacheilen und Genugtuung von Euch verlangen oder Euch niederschiessen wolle, wie einen R?uber und M?rder. Was sollte ich tun, ich ?rmste? Ich habe mit vielen Tr?nen und Bitten eine Frist von drei Tagen erlangt; eine innere Stimme sagte mir, dass ich Euch finden und das Schlimmste noch verh?ten w?rde. Im "Nettuno"erfuhr ich, Ihr seiet nach La Spezia. Dort hatten sie Euch nach Portovenere fahren sehen. Und nun, Ferdinando-Ihr kommt wie gerufen, sagte ich. Ihr spart mir einen Weg. Denn ich war eben im Begriff, wieder umzukehren und Euch die Nachricht zu bringen, dass Eure Witwenschaft zu Ende ist.
Wirklich? So ist es gut, so lasst uns eilig wieder in den Kahn steigen, sagte sie. Ich wusste es ja, Ihr w?rdet ein alleinstehendes Weib nicht so schwer kompromittieren, wenn Ihr es nicht gut und ehrlich mit ihr meintet.
Halt! sagte ich. Ihr wisst noch nicht alles. Die Toten stehn wieder auf. Euer Seliger sitzt droben im Wirtshaus und l?sst Euch gr?ssen. Er ist frisch und gesund und im Besitz seiner s?mtlichen Ohren, die Ihr von jetzt an hoffentlich etwas schonender behandeln werdet.
Nun war die Reihe zu versteinern an ihr. W?hrend sie mich aber anstarrte, als ob ich ihr ein M?rchen aus Tausend und einer Nacht erz?hlte, verlor ich keine Zeit, sondern berichtete ihr im Auszuge alles, was ich selber wusste. Und damit Ihr nun seht, schloss ich, dass ich es wirklich gut und ehrlich mit Euch meine, will ich Euch einen Rat geben, wie Ihr alles noch ganz herrlich wieder in Ordnung bringen k?nnt. Ihr geht jetzt auf der Stelle zu Eurem Seligen und erz?hlt ihm, dass ein unbestimmtes Ger?cht, er halte sich hier in Portovenere versteckt, Euch von Pisa weggelockt habe. Der treffliche Mann, der Euch trotz mancher kleiner Schattenseiten noch immer blindlings zu lieben scheint, wird Euch nicht allzu scharf examinieren. Ein paar Zeilen, die Ihr an den Oheim vorausschickt, werden auch diesen Biedermann in die rechte Stimmung bringen, und wenn Ihr sonstiges Gerede der Nachbarn scheut, so macht eine kleine Hochzeitsreise l?ngs der Riviera und kehrt erst heim, wenn die Schw?tzer stille geworden sind. Auf meine Diskretion k?nnt Ihr Euch nat?rlich verlassen. Ich werde Euch ewig dankbar sein, dass Ihr mich nicht unw?rdig gefunden habt, Euch ein zweites Lebensgl?ck begr?nden zu helfen.
W?hrend ich ihr diesen langen Sermon hielt, belustigte es mich sehr, den Wechsel der Gem?tsbewegungen auf ihrem Gesicht zu beobachten. Aber das Spasshafteste war der Ausdruck von zeremonieller K?lte, den sie zum Schutz gegen mich annahm, als sie sich von der Furcht vor allen verdriesslichen Folgen dieses Abenteuers durch meine weisen Winke befreit sah. Va bene, sagte sie. Ich w?nsche Ihnen eine gl?ckliche Reise, mein Herr!--Damit nickte sie mir huldvoll wie einem v?llig Fremden meine Entlassung zu, zog den Schleier wieder ?ber das Gesicht und ging majest?tisch, als h?tte sie sich eben nur bei einem Vor?bergehenden nach dem Wege erkundigt, die Gasse hinauf, dem Wiedersehen mit ihrem Carlo entgegen. Ich zweifle nicht, dass sie den Auferstandenen aufs z?rtlichste begr?sst und aufs unbefangenste belogen haben wird. O die Weiber! Sie sind niemals gr?sser, furchtbarer, erfinderischer und bezaubernder, als wenn sie ein schlechtes Gewissen haben!
Dies ist mein Abenteuer mit der Witwe von Pisa, sagte mein Nachbar und z?ndete eine frische Zigarre an. Was sagen Sie dazu? Wollen Sie nicht eine Novelle daraus machen?
Beh?te mich der Himmel! rief ich. Ich w?rde mich sch?n damit "kompromittieren". Welcher deutsche Leser glaubte mir diese tolle Geschichte?
Mag sein, sagte er. Aber daran w?ren Sie selber schuld. Warum haben Sie die Meinung verbreitet, die Frauenzimmer jenseits der Alpen seien aus ganz besonderem Stoff und von dem sch?nen Geschlecht in Deutschland grundverschieden? K?nnte diese Geschichte nicht ebensogut in unserem teueren Vaterlande sich zugetragen haben?
Was? rief ich erstaunt, Sie glauben im Ernst-Bis auf das Intermezzo mit den beiden Ohren, sagte er feierlich. Denn gottlob, wir leben in wohlpolizierten Verh?ltnissen, und die Spitzbuben schneiden h?chstens Beutel und Z?pfe ab. Was aber die Witwen betrifft-Hier hielt die Diligence vor einem Stationshause, und eine Tasse Kaffee unterbrach unser Gespr?ch, da es eben drohte, eine sehr bedenkliche Wendung zu nehmen.
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