Read Ebook: Der Weinhüter by Heyse Paul
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Ebook has 286 lines and 35222 words, and 6 pages
Edition: 10
Der Weinh?ter
Paul Heyse
Im September eines Jahres, dessen Stadt- und Dorfgeschichten aus Menschengedenken schon entschwunden sind, sass um die schw?le Mittagszeit ein junger Bursch mitten in dem wuchernden Rebenwald, der, dicht an die Stadt Meran herantretend, die S?dabh?nge des K?chelberges bedeckt. Die ?bermannshohen Laubeng?nge, in denen hier der Wein gezogen wird, waren mit dem Segen dieses Jahres so beladen, dass ein dunkelgr?nes Zwielicht durch die langen lautlosen Gassen schwebte, zugleich eine tr?ge stockende Glut, in der kein Luftzug Wellen schlug. Kaum wo die kleinen Felstreppen zwischen den einzelnen Weing?tern schroff bergan laufen, sp?rte man, dass man ins Freie auftauchte. Denn das Meer von Siedeglut, das in dem weiten Talkessel wogte, schlug hier doppelt schwer ?ber dem unbesch?tzten Haupte zusammen. Auch sah man selten einen Menschen des Weges wandern. Nur zahllose Eidechsen liefen feuerfest treppauf treppab und raschelten durch das z?he Efeugestr?pp, das die Grundmauern der Reben?cker reichlich umrankt. Die dunkelblauen Trauben mit den grossen dickschaligen Beeren hingen dichtgedr?ngt oben an der W?lbung der Laubengitter, und ein seltsam perlender Ton ward in der tiefen Mittagsstille dann und wann h?rbar, als kreise vernehmlich der Saft und koche am Sonnenfeuer in dem edlen Gew?chs.
Der Bursch aber, der in halber H?he des Berges einsam unter den Reben sass, schien f?r diese geheimnisvolle Naturstimmung taub und ganz seinen eignen d?stern Gedanken hingegeben. Er trug die uralte abenteuerliche Tracht der Weinh?ter oder "Saltner", die lederne Joppe, ?rmellos, mit breiten Achselklappen, an denen ?ber den Hemds?rmeln die ledernen Manschetten durch schmale Riemen oder silberne Kettchen festgehalten werden, Kniehosen und Hosentr?ger ebenfalls von Leder und mit dem breiten, daumdicken Gurt umg?rtet, auf dem in weisser Stickerei der Namenszug des Eigners steht, die weissen Stutzenstr?mpfe mit durchbrochenem Muster, um den Hals allerlei Zierat von Kettchen, Eber- und Murmeltierz?hnen. Aber die Hauptst?cke seiner Amtstracht lagen neben ihm im Grase: der hohe dreieckige Trutzhut, ?ber und ?ber mit Hahnen- und Pfauenfedern, Fuchs- und Eichhornschw?nzen verbr?mt, keine kleine Last zur Zeit der Traubenreife, und die lange wuchtige Hellebarde, mit der die Saltner ihrer drohenden Erscheinung Nachdruck zu verleihen wissen, wenn ein unbefugter Eindringling in ihr Gebiet nicht gutwillig das Pfandgeld erlegen will.
Tag und Nacht, ohne Abl?sung, ohne Sonntagsruhe und Kirchgang, um einen m?ssigen Lohn durchstreifen diese "lebendigen Vogelscheuchen" jeder das ihm zugewiesene Revier, von der Mitte des Juli, wo die ersten Beeren s?ss werden, bis die letzte Traube in die Kelter gewandert ist. Ihr saurer Dienst in Hitze und N?sse, obdachlos bis auf den k?mmerlichen Schutz ihres Maisstrohschuppens, ist dennoch ein Ehrenamt, zu dem nur die rechtschaffensten Burschen ausersehen werden. Auch haben die gelinden sternklaren N?chte in der freien H?he, w?hrend in den H?usern die Tagesschw?le kaum je verdampft, ihren Reiz, und die Besitzer der Weing?ter lassen sich's angelegen sein, die W?chter mit Wein und Speisen reichlich zu versorgen, um sie bei Kr?ften und guter Laune zu erhalten.
Es schien jedoch dieses Mittel bei dem finstern Burschen, dem wir uns gen?hert haben, nicht anzuschlagen. Er hatte den Krug mit rotem Wein, das Brot und die grossen Schnitte ger?ucherten Fleisches, die ihm eben erst zur Mittagskost ein kleiner Knabe heraufgeschleppt hatte, unber?hrt neben sich stehen auf dem platten Stein, der seinen Tisch vorstellte. Eine sehr kleine geschnitzte Pfeife mit silbernem Kettchen war ihm schon lange ausgegangen, und tr?bsinnig verbiss er die Z?hne in das weiche Holz. Er mochte etwa dreiundzwanzig Jahre alt sein, der Bart krauste sich leicht um Kinn und Wangen, die scharfen Z?ge des Gesichts deuteten auf fr?he Leidenschaften; die Stirn aber war, nach der Landessitte, von den Haaren verh?ngt, die, fr?h schon dicht ?ber den Augenbrauen abgeschnitten, sich in einzelne Locken gew?hnt hatten und um Schl?fe und Nacken ebenfalls gelockt herabhingen. Das gab dem Kopf alle Jugendfrische zur?ck, die ihm die Schatten unter den dunklen Augen zu nehmen drohten.
Ein langsamer Schritt, der sich unten auf dem Fusssteige n?herte, machte, dass er pl?tzlich aufstarrte, den Hut aufsetzte und die Hellebarde ergriff. Man konnte jetzt sehen, dass sein Wuchs hinter dem land?blichen etwas zur?ckgeblieben war, immer noch stattlich genug und durch das sch?nste Ebenmass der gew?lbten Brust und der straffen Schenkel auffallend auf den ersten Blick. Nur der Kopf schien fast zu klein geraten und H?nde und F?sse gar mit einem Weibe ausgetauscht. Ger?uschlos glitt die schmiegsame Gestalt unter den Gew?lbgittern entlang, ohne auch nur eine Traube zu streifen, und sp?hte vom n?chsten Felsenvorsprung hinunter auf den Weg.
Eine schmale, schwarzr?ckige Figur mit hohem, sehr abgetragenem Filzhut kam die breite Gasse zwischen Weinberg und Wiese dahergewandelt, im Schatten der Weidenb?ume, ein offnes Buch in den gefalteten H?nden, ?ber das hinaus der Blick zufrieden und unbegehrlich nach den sch?nen Trauben schweifte. Auch ohne den langen Rock, der fast zu den Kn?cheln der schwarzen Str?mpfe herabreichte, h?tte jeder in dem bed?chtigen Spazierg?nger alsbald die geistliche Person erkannt, und zwar an einigen der liebensw?rdigsten Z?ge, die der grossen und mannigfaltigen Gattung unter gewissen Himmelsstrichen eigen sind. Damals war der heftige Parteienhader zu Gunsten der Glaubenseinheit in dem gelobten Lande Tirol, wo die Milch des Glaubens und der Honig des Aberglaubens so lauter fliessen, noch eine unerh?rte Sache, und selbst die Hauptstadt des alten Burggrafenamts Meran, in der vorzeiten mancherlei Regungen eines neuen Geistes unliebsam die Ruhe gest?rt hatten, war wieder in tiefen Frieden zur?ckgesunken. Also hatten die Diener der Kirche keine Ursach, ihren Hirtenstab als Waffe zu schwingen, und konnten mit aller Gem?tsruhe die idyllischen Tugenden ihres Standes pflegen. Damals begegnete man nicht selten jenen bescheidenen geistlichen Gesichtern, auf denen eine gewisse Verlegenheit ?ber ihre eigene W?rde deutlich zu lesen war, eine stete Sorge, der Majest?t des lieben Gottes, dessen Kleid sie trugen, nichts zu vergeben, und doch ihren ungeweihten Mitgesch?pfen nicht allzu unnahbar feierlich gegen?berzustehn.
Der freundliche kleine Herr im sch?bigen Hut war nun auch freilich keines der hohen Kirchenlichter, sondern nur ein Hilfspriester an der Pfarrkirche von Meran, der t?glich um zehn Uhr eine Messe zu lesen hatte und daf?r, ausser einem St?bchen in der Laubengasse und einigen andern Emolumenten, einen Gulden t?glicher Eink?nfte besass. Das Volk, das ihn seines milden Gem?tes wegen sehr in Ehren hielt und n?chst den Kapuzinern ihm das gr?sste Vertrauen zuwendete, nannte ihn nicht anders als den "Zehnuhrmesser" und bewies ihm auf mannigfache Art seine Gunst. Es war kein Haus weit und breit, wo, wenn er ansprach, nicht der Weinkrug und irgend ein Imbiss auf den Tisch gestellt wurde, so dass es dem wackeren Mann gelungen war, im Laufe der Zeit zwar nicht die nat?rliche Hagerkeit seines Wuchses zu verbessern, aber wenigstens der W?rde seiner Erscheinung durch ein sch?chternes B?uchlein aufzuhelfen. Dasselbe nahm sich, da es sich mit dem ?brigen Zuschnitt der Figur nur um Gotteswillen vertrug, f?r ein profaneres Auge spasshaft aus, wie es schief und ?ngstlich unter dem d?nnen Rocke festgekn?pft sass. Aber zu dem bescheidenen Ausdruck des Gesichts stimmte die verlegentliche B?rde ganz wohl, und es fiel keinem seiner Beichtkinder ein, diesen Sp?tling der Natur zu bel?cheln. Auch wusste niemand dem Herrn Zehnuhrmesser eine Unm?ssigkeit nachzusagen, es sei denn etwa im Almosenspenden. Denn dass man allerorten sich beeilte, ihn mit dem Besten aus dem eigenen Weinberg zu bewirten, lag zum Teil an dem Rufe, dessen er genoss, als sei viele Stunden weit keine weltliche oder geistliche Zunge besser imstande, die G?te des Weins zu sch?tzen, seine Dauerhaftigkeit zu bestimmen, und in F?llen, wo ihm durch ein kleines Mittelchen aufzuhelfen war, das richtige anzugeben. "Eine Weinzunge haben wie der Zehnuhrmesser", war noch geraume Zeit das Ehrenvollste, was man von einem Kenner zu r?hmen wusste.
Unter den mancherlei Gaben und Tugenden unseres Ehrenmannes war aber der Mut nicht eben die st?rkste. Seine Nerven, obwohl er aus einer Bauernfamilie im Passeier stammte, die zu Hofers Kriegen manchen tapfern Sch?tzen geliefert hatte, liessen seine leicht ersch?tterte Seele bei jeder unversehenen Probe im Stich, ausser wo es eine fremde Seele zu retten oder sonst eine hohe Gewissenspflicht zu erf?llen galt. Auch dann zog er es vor, seiner moralischen Kraft erst mit einer physischen St?rkung nachzuhelfen, und sorgte daf?r, dass ein m?ssiges F?sschen voll weissem Terlaner, dem er am meisten begeisternde Wirkungen zuschrieb, im Keller seines Hauses niemals ganz versiegte. Heute nun, da er von einem Krankenbesuch im Dorf Algund ohne Labung zur?ckkehren musste, war er keiner starken Pr?fung gewachsen und erschrak aufs heftigste, als pl?tzlich dicht neben ihm eine dunkle Gestalt hoch von der Weinbergsmauer herabsprang und auf ihn zust?rzend seine Hand ergriff.
Gelobt sei Jesus Christus! sagte er, am ganzen Leibe zitternd.
In Ewigkeit! antwortete der Bursch.
Du bist's, Andree, mein Sohn? Hab' ich doch gemeint, der b?se Feind komme mir mit Macht ?ber den Hals, der ja im Weinberge des Herrn herumschleicht, zu sehen, wen er verschlinge. Nun, nun, wenn man so in Gedanken und Meditationen schwebt, kann's einem schon begegnen, dass euer Hut einem wie das H?rnerhaupt des Leibhaftigen vorkommt. Bist also hier, Andree? Das ist ja wohl dein eigener Grund und Boden, den du h?test, ich meine, deiner Mutter?
Des Burschen Augen wurden finsterer, und das Blut stieg ihm ins Gesicht. Da sei Gott vor, sagte er, dass ich den Fuss setzte in die G?ter meiner Mutter. Seit sie mir zu Lichtmess den Schlag ins Gesicht gegeben hat, weil sie meint', ich h?tte Feuer im Stadel angelegt, bin ich nimmer ihr Sohn und betrete ihre Schwelle weder bei Tag noch bei Nacht.
Der geistliche Herr besann sich jetzt erst, dass er einen wunden Fleck ber?hrt hatte. Er sch?ttelte ernsthaft und mitleidig den Kopf und sagte: Ei, Andree, du sprichst, wie es keinem guten Christen geziemt. Hat nicht unser Herr am Kreuz seinen blutigen Feinden verziehen, und ein Sohn sollt' es seiner Mutter nachtragen, wenn sie ihn auch ungerecht gez?chtigt hat? Ich weiss wohl, dass es dir hart ankommen mag, und dass jenes Mal, wo die Mutter sich vergessen hat, nicht das erste Mal war. Aber sieben mal siebenzigmal sollen wir verzeihen, Andree. Hast du das schon vergessen seit der Kinderlehre?
Nein, Hochw?rden, erwiderte der J?ngling fest. Ich hab' mir's auch angelobt, an jenen Tag nimmer zu denken und kann's ?ber mich bringen, solang ich vom Hause fernbleibe. Aber wenn ich zur?ckk?me, w?rde mich die Mutter selbst daran mahnen, weil sie mich hasst und nur darauf sinnt, wie sie mich plagen und tratzen mag. Sie wird mir auch mein Erbe entziehen im Testament, selbiges weiss ich gewiss, und frage nicht viel danach. Ich werd' auch ohne das nicht verkommen, und g?nn' es wohl meiner Schwester. Aber geschieden sind wir, und da kann keiner was dazu tun. Ich hab' mich beim Steirer verdungen, dr?ben in Gratsch, als Grossknecht, und heuer mach' ich den Saltner und hab' mein Auskommen, ohne einen Kreuzer von Haus. Aber die Mutter k?nnte mir sieben Boten schicken und mich mit vier Rossen zur?ckholen wollen, ich ginge nicht. Es hat alles einmal ein End'.
Der kleine Priester sah nachdenklich vor sich hin und schien der Meinung, dass es geratener sei, die Dinge gehen zu lassen, anstatt noch weiter mit geistlicher Mahnung einzugreifen. Er betrachtete jetzt mit kundigen Augen die Reben oben ?ber der Mauer und sagte:
Der Steirer hat wohlgetan, statt der Bratreben, die sonst hier standen, die Hertlinger anzupflanzen. Sie sind noch jung, aber im n?chsten Jahr werden sie das Doppelte tragen.
Die stehen nur hier am Rande, erwiderte der Bursch. Droben ist meist roter Farnatsch und einiges von Geissaugen dazwischen. Was er dr?ben hat, unterhalb Dorf Tirol, sind rote Ferseilen, aber er wird sie heuer ausnehmen und Setzlinge pflanzen, denn sie haben sich schier zu Tod getragen.
Auf wieviel Uhren rechnet ihr beil?ufig?
Einhundertundvierzig bis--siebenzig immerhin.
Wie steht dir das Saltnern an, Andree? Es mag hart werden auf die, L?nge.
Ha, es passiert, Hochw?rden. Noch sp?r' ich's nicht in den Gliedern.
Hast auch bei Nacht fein die Augen offen?
Die meinigen wohl. Aber sind nur zwei, und ich m?sst' ein Dutzend haben, um allerorten zugleich nachzuschauen. Die Weissr?cke fangen wieder an, bei Nacht herumzufuragieren; die Weinbeeren sind ihnen grad saftig genug, um ihr Kommissbrot anzufeuchten. Und es kommen ihrer immer viele auf einmal, aber einzeln, und wenn wir einen fassen, haben indes die andern das Feld frei, und es hilft uns nichts, vorm Hauptmann ist doch kein Recht zu erlangen.
Die Stadt sollte sich beklagen.
Ja die Stadt! Da m?ssten wir Zeugen und Beweise schaffen. Aber wer will's beschw?ren, wenn wir am Morgen ganze Strecken lang die besten Trauben gestohlen und links und rechts die Reben wie ein Unkraut mit dem S?bel zerhauen finden aus W?stheit und Schadenfreude, dass das nur die Soldaten getan haben k?nnen? Fassen wir einen am Kragen, so weiss er so wenig von Weinbeeren wie's Kind im Mutterleib. Da bleibt nichts, als ihn auf eigene Faust Spiessruten laufen zu lassen, dass er's Wiederkommen vergisst. Den n?chsten aber, den h?ngen wir, mein Eid! an den Beinen auf, da mag er bis an den lichten Morgen in der Luft exerzieren.
Es sind arme Teufel, Andree, und die Versuchung ist gross. Ihr solltet's menschlich mit ihnen machen.
Machen sie's denn nicht wie die Bestien? Da seht, Hochw?rden--und er wies auf eine Rebe, die glatt mitten durchgeschnitten war, dass das Laub schon welk und gelb an den Ranken hing--das Herz blutet einem, so ein gesundes, friedliches Gew?chs, das nur auf der Welt ist, um seinem Herrn das Fass zu f?llen, von den Hundsf?ttern verheert zu sehen, aus purer Niedertracht, uns zum Possen. Find' ich einen einmal beim Werk, so gnad' ihm Gott!
Er sch?ttelte, in der Richtung nach der Stadt, drohend die Hellebarde und bohrte sie darin heftig in den Sand.
Der geistliche Herr schrak leicht zusammen, vergass aber seiner W?rde nicht und sagte: Ich will mit dem Hauptmann sprechen, heute noch, dass er strenger drauf sieht, nach dem Zapfenstreich keinen Mann aus der Kaserne zu lassen. Du aber bez?hme deine Hitze, mein Sohn, und bedenke, dass du hier im Dienste der Obrigkeit stehest und das Gericht ihr ?berlassen sollst. Beh?t dich Gott, Andree. Ich gehe heute wohl auf Goyen hinauf, zum Hirzer. Hast mir was aufzutragen an den Franz oder die Rosina? Einen Gruss etwa?
Nein, Hochw?rden. 's ist immer noch beim alten zwischen dem Bauern und mir. Er will nichts von uns wissen, so frag' ich ihm nichts nach. Die andern sind ganz rechtschaffen, m?cht' ihnen beim Vater keinen Verdruss machen, indem ich sie gr?ssen liess'. Aber wenn Ihr etwa meiner Schwester begegnet--nein, auch der sagt nichts, es war nur ein Einfall.
Rasch, wie um seine Verwirrung zu verbergen, b?ckte er sich nach der Hand des Priesters, k?sste sie ehrerbietig und schwang sich an dem langen Hellebardenschaft auf die Mauer zur?ck, wo er sogleich hinter dichtem Rebenlaub verschwand.
Kopfsch?ttelnd setzte der Zehnuhrmesser seinen Weg fort, und das Gespr?ch mit dem J?ngling besch?ftigte sein menschenfreundliches Gem?t noch eine geraume Zeit. Aber die lange, t?gliche ?bung einer ausgebreiteten Seelsorge und die geistliche Pflicht, das ?l der Geduld in eigene und fremde St?rme zu tr?ufeln, hatten den sch?rfsten Stachel des Mitgef?hls bereits abgestumpft. Es ahnte ihm nicht von fern, wie es jetzt im Innern des Burschen aussah, der oben bei seiner Maish?tte lag, das Gesicht gegen den Felsboden gedr?ckt, als wollte er sich bei lebendigem Leibe in den Schoss der Mutter Erde vergraben, um vor einem ?bergrossen Kummer Zuflucht zu finden,
Eine volle Stunde mochte er so gelegen haben, zuletzt durch einen mitleidigen Halbschlaf von seinen hilflosen Gedanken erl?st, als ein helles Lachen, das unten am Weg erscholl, ihn j?hlings erweckte. Einen Augenblick lag er still, sich zu besinnen, ob er's nicht etwa getr?umt habe. Aber eine helle Stimme drang zu ihm herauf und dasselbe unschuldig trillernde und girrende M?dchenlachen, das sich von fern fast wie der Gesang eines Vogels ausnahm. Im Nu war der J?ngling aufgesprungen und an ein Lugloch gest?rzt, das den Blick hinunter freiliess. Auf dem n?mlichen Weg unter den Weiden, den der geistliche Herr vorhin gewandelt war, kam, diesmal aber von der Stadtseite, ein M?dchen, das nicht ?ber siebzehn Jahr sein konnte, blond, eher klein als gross, in der dunklen, schwerf?lligen Landestracht. Aber die Bewegungen der zierlichen Gestalt, so langsam und behaglich sie einherschritt, waren so leicht und anmutig, dass jedes Auge ihr unwillk?rlich folgen musste. Sie hatte die H?nde ruhig ineinandergelegt, wie es die Art der M?dchen hier zu Lande ist, wenn sie nichts zu tragen haben. Der runde Kopf aber blieb keinen Augenblick still auf dem schlanken Nacken, sondern wendete sich wie bei einem Vogel rastlos nach allen Seiten, am h?ufigsten freilich zu ihrem Begleiter, ?ber dessen scherzhafte Reden sie best?ndig in ein neues Lachen ausbrach. Das war ein gewandter, r?hriger Gesell, dem die leinene Soldatenjacke, die enganschliessenden blauen Hosen und die schiefe blaue Kappe ohne Schirm nicht ?bel standen. Sein dunkles Gesicht und die schwarzen Augen verrieten das welsche Blut. Auch hatte er grosse M?he, sich dem M?dchen in seinem gebrochenen Deutsch verst?ndlich zu machen. Aber schon der Klang seiner verst?mmelten und verwelschten Worte schien sie h?chlich zu belustigen. Mehrmals warf er forschende Blicke in der Gegend umher. Einen Bauern, der ein Kalb mit Hilfe seines Hundes nach dem n?chsten Dorfe trieb, liess er mit absichtlichem Z?gern vorankommen, und jetzt, da derselbe um die Ecke des Weges verschwunden war, r?stete er sich offenbar, mit dem M?dchen etwas handgreiflicher anzubinden, als sein sp?hendes Auge pl?tzlich die drohende Gestalt des Weinh?ters entdeckte, der aus der ?ffnung des Weinganges herausgetreten war und mit erhobener Waffe, noch sprachlos, hinunterwinkte.
Der Welsche stand unschl?ssig still. Auch das M?dchen hermmte den gleichm?tigen Schritt und sah hinauf. Guten Nachmittag, Andree! rief sie ohne jede Verlegenheit. Es ist mein Bruder, setzte sie, zu dem Soldaten gewendet, hinzu. Macht, dass Ihr fortkommt; er versteht keinen Spass.
Der Soldat schien den wohlgemeinten Rat vollkommen zu w?rdigen, aber durch die Entfernung seines Feindes sich einstweilen noch sicher zu f?hlen. Nix Furcht, Fralla, sagte er; ihm geben Kreizer a comprar tabacco; dann still sein, gut Freund.-Er griff in die Tasche und holte eben seine geringe Barschaft heraus, als er die donnernde Stimme des Burschen droben vernahm: Zur?ck, Soldat, oder der Spiess fliegt dir an den Kopf, dass du bei Nacht und Tag das Wiederkommen vergisst.
Der Welsche stand wie angewurzelt und mass den Weinh?ter mit einem w?tenden Blick.
Deutsche B?r! murmelte er zwischen den Z?hnen. Maledetto!--Aber noch konnte er sich nicht entschliessen, umzukehren und sich vor den Augen seiner Sch?nen in so nachteiligem Licht zu zeigen. Diese stand, offenbar durch seine heftigen und ohnm?chtigen Geb?rden erg?tzt, gelassen neben ihm und lachte ohne jede Schonung. Aber dem Burschen oben erschien der Auftritt nichts weniger als lustig. In raschen S?tzen sprang er, durch schmale ?ffnungen der Lauben sich windend, den Abhang hinab, und ehe der Welsche sich besinnen konnte, sahen zwei funkelnde Augen unter dem wehenden Trutzhut ihm in das entf?rbte Gesicht.
Hast du Ohren, Kamerad? herrschte der Zorngl?hende ihn an. Weisst nicht, dass der Weg hier f?r deinesgleichen verboten ist? Soll ich dir die Jacke vom Leibe reissen, um ein Pfand zu behalten, welscher Fuchs? Hast wohl Weinbeeren vergessen zu Nacht, und kommst nun zur Marend, sie zu holen? Den Augenblick scher dich heim, oder-Die Hand weg! knirschte der Welsche, da er sich ungest?m gepackt und gesch?ttelt fl?hlte. H?tt' ich mein' sd?gena-Wurm! rief der J?ngling. Bring nur deinen Degen mit das n?chste Mal, und dein Gewehr dazu; es w?r' doch ein Pfand, das der M?h' verlohnte. Aber nun beim Kreuz! fort mit dir, oder ich spiesse dich auf wie einen Frosch, und werfe dich in deinen Kasernenhof zur?ck, dass du das letzte Stossgebet nimmer zu Ende beten sollst.
Damit schleuderte er den langen Gesellen einige Schritte weit fort, dass er, ?ber einen Stein strauchelnd, in die Knie fiel. Im Augenblick war er wieder auf den F?ssen, und mit beiden F?usten wie ein Weib gegen den Feind drohend und eine Flut von welschen Fl?chen hervorsprudelnd, wich er der Gewalt und trollte hinkend und oft zur?ckblickend im Schutz der Weiden dem nahen Stadttor zu.
Du hast's ihm aber arg gemacht, Andree, sagte die Blonde, indem sie dem geschlagenen Galan ganz kaltbl?tig nachblickte. Er hat so g'spassiges Zeug geredt, dass ich immer hab' lachen m?ssen. Warum bist du gleich so wild worden?
Der Bruder gab keine Antwort, seine Gedanken waren noch bei seinem Zorn. 's ist noch nicht aus zwischen uns! sagte er vor sich hin. Er kommt mir schon wieder; meinetwegen! so heb' ich's ihm auf.--Moidi, fuhr er fort, pl?tzlich zu dem M?dchen gewendet, und du, immer noch das alte Lied? Wer mir aufspielt, dem tanz' ich? Sch?mst du dich nicht, so einem t?ckischen Teufel das Wort zu g?nnen und neben ihm her zu gehen? Wenn dir jeder recht ist, der dich lachen macht, so bleib weg von mir. Denn du weisst wohl, das Lachen ist rar bei mir, wie der Schnee zu Pfingsten.
Das M?dchen war still geworden und sah mit zerstreutem Blick vor sich hin. Sie strich sich mit beiden flachen H?nden ?ber das Haar, das von allen Seiten glatt ?ber den Kopf zur?ckgek?mmt und im Nacken mit einem grossen runden Kamm festgesteckt war, und ihr sehr zartgef?rbtes Gesicht r?tete sich vor Verlegenheit. Andree, sagte sie endlich, ohne ihn anzusehen, soll ich wieder gehn?
Nein, bleib! erwiderte er kurz. Bist du meinethalben gekommen?
Freilich, sagte sie eifrig, und wagte es jetzt erst, seinem Blick zu begegnen. Es ist ja schon eine Woche her, dass ich nicht habe abkommen k?nnen. Du l?sst dich ja nimmer sehen. Die Mutter war eingeschlafen, es war so heiss in der K?che, da hab' ich gedacht, ich will einen Sprung hinaus tun, zu schauen, wie dir's geht. Und da, einen halben Weck hab' ich dir mitgebracht; der Hirzerfranz hat ihn mir gekauft, am Sonntag gestern, nach der Kirch'. Ich mag ihn nimmer, er ist soviel s?ss.
Der Hirzerfranz? Was hat der dir zu schenken? Wenn's sein Vater w?sste, es g?be einen Teufelsl?rm. Hat er dich etwa auch zu lachen gemacht?
Der? Dem lacht's nur in der Tasche, wenn er mit seinen Gulden klappert. Auch war meine Mutter dabei, weisst wohl; wen die anschaut, dem vergeht der Spass, wie den M?usen, wenn sie die Katze sp?ren. Mich wundert's selbst, dass ich noch lustig sein kann. Aber ich w?r' l?ngst gestorben ohne das Lachen, so grauslich ist mir's manches Mal, mit ihr allein droben in der H?tte.
Sie schwiegen eine Weile.--Magst du den Wecken nicht? sagte das M?dchen. So leg' ich ihn da auf die Bank, er kommt schon nicht um. Aber da sind noch ein paar Feigen, von unserm Baum droben, die reifsten. Ich hab' sie f?r dich abgebrochen. Da! sie sind gut in der Hitze!
Ich dank' dir, Moidi, erwiderte er. Komm, wir wollen sie zusammen essen, droben im Schatten.
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