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Read Ebook: Der Weinhüter by Heyse Paul

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Ebook has 286 lines and 35222 words, and 6 pages

Ich dank' dir, Moidi, erwiderte er. Komm, wir wollen sie zusammen essen, droben im Schatten.

Er schritt voran die Weinbergsstufen hinauf, und sie folgte ihm, allerlei plaudernd, worauf er die Antwort schuldig blieb. Auf seinem alten Platz unter dem Rebendach warf er sich nieder, und sie setzte sich neben ihn auf den breiten Stein und n?tigte ihn, die Feigen zu kosten. Mit der Zeit, da keine neue St?rung kam, schien ihm wohl zu werden. Ein leichter Wind machte sich auf und trug den Schall einer fernen M?hle an der Etsch und das Ger?usch der Passer bis zu ihnen herauf, dann und wann auch einen Knall von den Sch?tzen, die im Schiessstande dr?ben nach der Scheibe schossen. Die Zeit wurde ihnen nicht lang. Er n?tigte sie, von seinem Wein zu trinken, was sie bald wieder in die alte lustige Laune brachte. Auch die Heimlichkeit des schattigen Verstecks reizte ihren Mutwillen, und er, der einsilbig, aber nicht mehr unmutig, sie gew?hren liess, verwandte kein Auge von ihr. Endlich setzte sie sich gar den schweren Saltnerhut auf, nahm den Spiess in die Hand und ging mit grossen Schritten die Laubengasse hinauf und hinunter, mit der Linken die beiden Fuchsschw?nze unter dem Kinn zusammenhaltend, dass ihr Gesicht ganz davon eingerahmt war. Andree, sagte sie, mich sollten sie schon f?rchten, mein' ich, und wenn die Mutter nicht w?r', k?m' ich alle Nacht zu dir und machte den Saltner, w?hrend du dich hinlegtest, ein paar Stunden zu schlafen. Ich wollt' die Spitzbuben, die Soldaten, schon in Respekt halten, gelt?

Der J?ngling lachte zum erstenmal. Als sie sah, dass sie das Eis seines Tr?bsinns gebrochen hatte, kam sie rasch zu ihm, setzte Hut und Hellebarde beiseit und sagte, dicht neben ihm im Grase kauernd: Nun schau, Andree, tausendmal h?bscher bist du, wenn du auch einmal lachst wie andre Buben, als so alleweil Falten in die Stirn ziehst und dreinschaust wie unser Herr Christus am Kreuz. Bist du nicht ein junger, lebfrischer Bub und brauchst dich von niemand in den Sack stecken zu lassen? Mit der Mutter--ja, das ist freilich eine leide Geschicht', aber du hast doch keine Schuld daran, das wissen alle Leut', und um mich brauchst du dich auch nicht zu gr?men, ich komm' zu dir, sooft ich kann, und vor mir darf die Mutter kein b?s Wort auf dich sagen, wenn sie mich nicht zur T?r hinaustreiben will, das weiss sie wohl. Was hast also, dass du alleweil den Kopf h?ngst und mir selber so finstre Augen machst, als w?r' ich nicht deine liebe Schwester, sondern eine Feindin? Und wenn gar ein andrer Bub mir ein W?rtel sagt, so ist gleich Feuer im Dach. Sag, m?chtest du eine Nonne aus mir machen, oder dass ich bei der Mutter ihr Lebtag die Hennendirn abgeben und eine steinalte Jungfer werden soll?

Sie war ihm w?hrend dieser Worte zutraulich nahe ger?ckt und hatte den Arm leicht um seinen Nacken gelegt. Aber wie wenn ein Gespenst ihn angefasst h?tte, fuhr er auf und sch?ttelte ihre Liebkosung ab. Seine Brust arbeitete schwer. Lass mich, keuchte er heftig hervor, r?hr mich nicht an, frag mich nichts, geh fort von mir, so weit du kannst, und komm nie wieder!

Er war aufgesprungen, als wollte er fliehen, aber er konnte sich nicht von der Stelle r?hren. Er musste sie ansehen, wie sie, versteinert, im Grase kniete, die H?nde im Schoss gefaltet, mit einem Blick, der ihm ins Herz schnitt. Die Augen schienen gr?sser geworden, der halbge?ffnete Mund in einem schmerzlichen Aufschrei erstarrt, die feinen Nasenfl?gel bebten. Es war nicht das erste Mal, dass dieses Gesicht ihn an dem Kinde entsetzte. Ja zuweilen mitten in ihrem Lachen, das ?berhaupt oft kindisch klang, ward sie von pl?tzlichem Schrecken ?berfallen und f?r eine Zeitlang wie von einem verst?renden Krampf entgeistert, der sich dann mehr oder minder heftig zu l?sen pflegte. Er selbst hatte sich bisher nicht vorzuwerfen, einen solchen Auftritt verursacht zu haben. Vielmehr rief man ihn, um den b?sen Geist zu bannen, und es pflegte ihm ohne M?he zu gelingen. Als er sie aber jetzt in dieser atemlosen Ohnmacht knien sah, durch seine Schuld, war ihm einen Augenblick selbst die Besinnung gel?hmt.

Er schlug sich vor die Stirn und st?hnte tief auf. Dann b?ckte er sich zu ihr herab, fasste ihre H?nde, die eiskalt geworden waren, und sah ihr dicht in die Augen. Ich bin's, Maria, sagte er inst?ndig; der Andree ist's; sieh mich an, h?re mich, verzeih mir, ich bin ein Rasender, aber es ist vorbei; lass auch du es gut sein und verzeih mir's, du weisst nicht, wie mir ist, sonst h?ttest du Mitleiden.

Mit seinen heissen H?nden dr?ckte er die ihrigen, und ebenfalls niedergekniet, dicht ihr gegen?ber, wartete er mit leidenschaftlicher Angst, dass das Leben in ihren Z?gen wieder aufglimmen m?chte. Aber noch blieb die Starrheit m?chtig ?ber ihr, keine Wimper zuckte, kaum f?hlte er einen Hauch aus ihrem Munde gehen, und die weit offenen Augen schienen ihn durch und durch zu blicken wie leere Luft. Da setzten mit tiefem Klang die Glocken der Pfarrkirche ein zum Vespergel?ut und l?sten den Bann, langsam, aber wohlt?tig. Sie seufzte schwer aus der Brust, die Augenlider schlossen sich erst, dann, als sie sich wieder ?ffneten und die erwachende Seele sich der Welt und ihrer selbst besann, quollen grosse Tr?nen hervor, und an seine Schulter gelehnt weinte sie, ohne ein Wort hervorzubringen, die Ersch?tterung aus.

Er hielt sie ebenfalls stumm, mit aufatmendem Herzen an sich gedr?ckt und horchte auf den wogenden Ton des Gel?uts, verworrene Gebete bei sich selbst hersagend. Als die Glocken ausgeklungen hatten, griff er nach dem Krug und reichte ihn ihr. Sie n?herte ihm die Lippen, wie eine Kranke, die das Gef?ss nicht selbst zu halten sich getraut, und trank einen langen Zug. Dann schloss sie die Augen, ohne sie zu trocknen, und schlief neben ihm ein, immer noch auf den Knien und die H?nde unbeweglich gefaltet.

Als er sie nach einer Weile ruhig atmen h?rte, hob er sie auf und legte sie bequem auf den abh?ngigen Boden nieder, seine Jacke unter ihren Kopf schiebend, ohne dass sie erwacht w?re. Er selbst, nach einem raschen Umblick in seinem Revier, lagerte sich neben ihr, den Kopf in die Hand gest?tzt, und starrte ihr in das schlafende Gesicht, das nun ganz friedlich wie aus heiteren Tr?umen l?chelte. Wenn ein Blatt sich bewegte und dann das Licht fl?chtig auf ihrer Stirn spielte, seufzte sie wohl noch leise nach. Aber ihr war wohl, w?hrend es in ihm von dunklen Schmerzen und schweren Entschl?ssen gewaltsam g?rte und jeder Blick in diese friedlichen Z?ge ihm neue Nahrung f?r seine Qualen eintrug.

Welch ein r?tselvolles Schicksal umgab diese Geschwister?--Wir m?ssen, um es aufzuhellen, um viele Jahre zur?ck, in eine Zeit, da die Mutter, die mit so seltsamer Feindschaft zwischen ihnen stand, nicht viel ?lter war als das blonde Kind, das dort oben unter den Reben schl?ft, freilich in allem ?brigen ihr volles Widerspiel. Die Grosseltern der blonden Moidi besassen droben auf dem K?chelberg ein schlichtes Bauernhaus, das aber sch?n nach allen Seiten in die T?ler hinuntersah, links ins Passeier, rechts ins Vintschgau hinein, geradeaus ?ber die Stadt Meran weg in die breite Niederung der Etsch bis zu den Bozener Bergen. Der alte Ingram hatte das Anwesen schon von Vorv?tern ererbt, und die liebliche Lage war ihm freilich als Zugabe wert, mehr aber die ausgedehnten Weing?ter, die sich nach allen Seiten daranschlossen und ihm wohl zustatten kamen, seine vielen Kinder zu ern?hren. Von denen war die j?ngste, Maria, oder nach dem Landesausdruck "Moidi", ein wahres Sorgenkind, w?hrend von den ?brigen im Guten oder Schlimmen nichts Sonderliches zu berichten w?re. Diese j?ngste jedoch, nicht allein, dass sie die H?sslichste war, und eher einer Alraune als einem Meraner Landkinde ?hnlich, die meist sauber und wohlgebildet heranwachsen, betrug sich zudem von klein auf so ungeh?rig, dass sie viel Schl?ge und wenig gute Worte von der Mutter erlebte, und auch der Vater, der ein m?ssiger und am Hergebrachten h?ngender Mann war, sich mehr und mehr dieser j?ngsten zu sch?men begann. Mit der Zeit h?rten die Schl?ge auf, da es deutlich war, dass sie das ?bel nur mehrten, und es sich nicht obenein verkennen liess, selbst f?r ein Bauernauge, es sei nicht alles in Ordnung in diesem armseligen Kopf. Der Pfarrer hatte sie zwar genau befragt und ihre Verkehrtheiten nur aus den verwilderten Trieben eines eitlen und schwachen Herzens herleiten wollen; und wirklich liess sich ihrem Verstand, wenn man nicht sorgf?ltiger zusah, kein Sprung oder Sparren nachweisen; denn sie verstand, sobald man sie katechisierte, sich klug zusammenzunehmen und selbst ihre offenbaren Narrheiten halb und halb zu besch?nigen. Von diesen nun war die ?rgste eine ganz unzweckm?ssige und mitleidsw?rdige Putzsucht, mit der sie, wo sie ging und stand, recht geflissentlich aller Augen auf ihre ohnehin schon auffallende H?sslichkeit lenkte. Das trug ihr eine Menge der b?sesten Spottnamen ein, und die es am besten mit ihr meinten, nannten sie den "schwarzen Pfau", oder die "w?ste Moidi" schlechtweg, ihre eigenen Br?der aber nur "die Schwarze"; denn sie war nicht nur von sehr dunkler Gesichtsfarbe und dichten, buschigen Augenbrauen, sondern auch ihr Haar krauste sich durch ein merkw?rdiges Naturspiel wie das der Negerinnen und str?ubte sich beharrlich gegen Kamm und Flechtenb?nder. Ob der K?nig aus Mohrenland unter den heiligen Dreien auf einem Bilde, das die Mutter einmal in Bozen gesehen, diese befremdliche Spielart auf dem Gewissen habe, wie einige behaupteten, lassen wir dahingestellt. Tatsache war, dass die "w?ste Moidi", anstatt ihr Schicksal mit leidlicher Miene zu ertragen, auf die l?cherlichsten Mittel verfiel, ihm abzuhelfen und durch allerlei Putz und Tand, mit dem sie sich, ganz gegen den Brauch, beh?ngte, ihre Person ansehnlicher und liebensw?rdiger zu machen. Was sie irgend an Geld zusammenbringen konnte, nicht immer auf die redlichste Weise, verwandte sie eilig dazu, sich bunte B?nder oder gemachte Blumen zu verschaffen, mit denen sie ihr wolliges Haar durchflocht und so, zum grossen ?rgernis der Alten und Gesp?tt der jungen, zuweilen selbst am Sonntag in der Kirche erschien, ungeachtet ihr die Mutter, sooft sie ihr so begegnete, den Putz zornig abriss und sie mit Hunger und Schl?gen daf?r b?ssen liess.

Ein wenig besserte sich dieser traurige Hang, als sie in die reiferen Jahre kam und sich das Gef?hl f?r den Spott der jungen Burschen in ihr sch?rfte. Zum Ungl?ck aber l?ste eine noch unheilvollere Torheit jene erste kindische ab, und sie liess ihr, freilich mit besserer Entschuldigung, noch haltloser den Z?gel schiessen. Sie warf n?mlich ihre Augen unter den vielen Burschen, die mit ihren Br?dern verkehrten, gerade auf den sch?nsten, der sie von fr?h an mit der unverhohlensten Abneigung behandelt hatte. Das war an Leib und Seele ein Bursch vom guten alten Meraner Schlag, ein etwas tr?ges Gem?t in einem starken, herrlich gebildeten K?rper, ein eifriger Kirchg?nger, kundiger Weinbauer, der wenig Worte machte und Gedanken nur f?r den Hausbedarf spann, am wenigsten aber mit unn?tzen Liebschaften Zeit und Geld vertat, da es ?berhaupt in diesen romantischen T?lern im Punkte der Liebe und Ehe meist kaltbl?tiger und gesch?ftsm?ssiger zugeht, als fl?chtige Reisende sich tr?umen lassen. Damals, als die schwarze Moidi sich in ihn vergaffte, lebte sein Vater noch, der Aloys Hirzer, der eines der alten Herrenschl?sser unterm lfinger, auf einer H?he ?ber der Stadt frei gelegen, von dem verschuldeten letzten Stammherrn gekauft hatte, um dort seine Weinbauernwirtschaft mitten unter den feudalen Tr?mmern in grossem Stile zu errichten. Ausser dem Sohne, Joseph, hatte er noch eine Tochter, die in Innsbruck bei einem Paten feinere Erziehung genoss und sich zur Lehrerin auszubilden dachte, als der Vater pl?tzlich das Zeitliche segnete, und der Bruder sie nun heimkommen liess, um ihm die neue Einrichtung zu erleichtern. Es war ein sanftes, blasses, sch?n?ugiges M?dchen, ?lter als der Joseph, ihr Bruder. Dessen Kameraden, von denen wohl mancher ein Gel?sten trug, sich ein St?ck Burgland anzuheiraten, wagten sich an die Anna nicht heran, die ihnen zu fein und leise war und bald fast im Geruch der Heiligkeit stand, denn sie war in allen Kirchen und allen H?tten der Kranken und D?rftigen zu finden und ging an keinem Kinde vorbei, ohne es auf den Arm zu nehmen, ihm ein Bildchen zu schenken oder seine Gebetlein hersagen zu lassen. Der Bruder war sehr wohl mit ihr zufrieden, da sie sein Haus, die Gem?cher n?mlich, die noch in wohnbarem Stande waren, ger?uschlos in Ordnung hielt. Er hatte sich von jeher aufs beste mit ihr vertragen. Da er ein guter und durch Herzenswallungen nicht leicht zu verwirrender Rechner war, schien es ihm zweckm?ssig, dass seine Schwester ledig blieb. Wenn er auf dem Balkon stand, der wie ein Schwalbennest an der grauen Burgmauer klebte, und in seiner Bauerntracht, der rotaufgeschlagenen Lodenjoppe, den breiten schwarzen Hut mit roter Schnur auf dem Kopf, die gebr?unten H?nde unter die geschlitzten Hosentr?ger gesteckt, hinaussah ins weite Land, verwellte sein Blick mit Befriedigung auf den kleinen Klostert?rmen, die hie und da ihr Kreuz aus dem Duft erhoben, und er gedachte gern daran, dass die fr?heren, adligen Burgherren dort ihre unversorgten S?hne und T?chter untergebracht hatten. Es w?re ihm nicht ungelegen gewesen, wenn seine Schwester ebenfalls vor den Gefahren und Anfechtungen der Welt eine beschauliche Zuflucht gesucht h?tte. Da sie aber hiezu keine Lust bezeigte, auch f?rs erste noch im Hause v?llig n?tig war, nahm er einstweilen mit dem Abglanz ihres Heiligenscheins, der auch auf ihn her?berstrahlte, vorlieb und war nicht wenig stolz, wenn geistliche Herren, der Schwester wegen, fleissig auf Goyen vorsprachen und bei einem Glase roten Weins ?ber die Angelegenheiten der Kirche erbauliche Reden f?hrten.

An seine eigene eheliche Zukunft dachte er nur gelegentlich, wenn von einer reichen Erbtochter einmal die Rede war, auch darin ohne hitzige und h?ssliche Habsucht, mit einem stillen Pflichtgef?hl, dass es ihm wohl zukomme, das v?terliche Gut durch einen sch?nen runden Zuwachs zu mehren. Da er, wie gesagt, einer der schmucksten Burschen der Gegend war, trug er die ruhige Zuversicht mit sich herum, dass es ihm gar nicht fehlen k?nne, wenn er ?berhaupt Ernst mache. Auch nahm er anfangs die unverhohlenen Gunstbeweise der schwarzen Moidi nur mit einer w?rdevollen Geringsch?tzung hin. Auf die L?nge aber, als das Gerede lauter und stachliger wurde, als er sich an keinem Markt, Kirchtag oder bei sonst einer ?ffentlichen Gelegenheit sehen lassen konnte, ohne mit seiner Eroberung geh?nselt zu werden, stieg ihm der ?rger ernstlich zu Kopf, und er hielt es f?r passend, durch die ver?chtlichsten Scherze sich die zudringliche Liebeswerbung vom Halse zu schaffen.

Manchem andern w?re dieselbe vielleicht mitleidsw?rdig erschienen; denn sie ?usserte sich nur in der r?hrenden Hartn?ckigkeit, mit der die Augen des M?dchens, sobald der Bursch ihr begegnete, wie durch eine Naturgewalt bezwungen an seinem regelm?ssigen, rot und weissen Gesichte hingen und ihm ?berallhin folgten, unbek?mmert um den Zorn, der statt jedes Zeichens von Gegenliebe seine Z?ge verfinsterte. Selbst in der Kirche, wenn er hinter ihr stand, wusste sie's einzurichten, dass sie wenigstens das halbe Gesicht nach ihm umkehrte, und sie war dann so sehr in ihre bewundernde Andacht versunken, dass sie alles andere dar?ber vergass. Wer die einfachen und k?hlen Sitten des Volkes und die ehrbare Gleichg?ltigkeit, mit der die Geschlechter sich hier begegnen, bedenkt, wird das grosse ?rgernis begreifen, das ein solches Betragen erweckt. Auch waren die meisten ganz ?berzeugt, die Moidi sei nur halb bei ihren Sinnen, und man m?sse sie gew?hren lassen, da man sie doch nicht f?glich vom Kirchgang zur?ckhalten k?nne, ohne den b?sen Geistern noch gr?ssere Macht ?ber sie einzur?umen. Die jungen Burschen aber dachten minder christlich und hiessen sie einfach mannstoll, und da sich auch die M?dchen von ihr zur?ckzogen, war die schon von der Natur Gezeichnete desto auffallender, wenn sie einsam und ohne Gesellin den K?chelberg herab in die Messe ging, mit den durchdringenden Augen weit voraus unter den versammelten M?nnern am Kirchplatz nach ihrem Erkorenen suchend. Dann geschah es wohl, besonders nach der Vesper, wo schon der Wein in den K?pfen den Ton angab, dass einer der Hartherzigsten die sch?ne Passeirer Altjungfernklage zu singen anfing:

Was muss ich armes Madl anheben, Dass ich grad' einmal bekomm' ein'n Mann? Die Buben, die tun kein' Achtung mehr geben, Vor mir lauft ein jeder darvon. Jetzt ist mir nimmer wohl, Weiss nit, was ich tun soll, Dass ich halt nur grad' einen erlang'!

Und wenn der Refrain des Gel?chters ein wenig verschollen war, die zweite Strophe:

F?nfundzwanzigmal bin ich schon kirchfahrtengangen, N?chtern, und han mir nicht z' essen getraut. Han gemeint bei Gott die Gnad' zu erlangen, Dass ich dies Jahr m?cht' werden a Braut. Jetzt--und ist alles nichts; Die Fastnacht ist auch schon f?r-- Ach, ich arme verlassene Haut!

Der Joseph, wenn er sich auch zu vornehm hielt, um mit einzustimmen, h?rte doch mit sichtbarer Befriedigung zu und hoffte, dieses singende Gassenlaufen w?rde der armen Tollen die verliebten Grillen austreiben. Sie aber schien, sobald sie ihn nur sah, so v?llig taub zu sein, dass sie das Schimpflied weder h?rte, noch sich zu Gem?te zog. Auch f?r die erbitterten Scheltreden ihrer Br?der war sie ganz unempfindlich, erwiderte kein Wort, ?nderte aber um kein Haar ihr Betragen, und selbst das scharfe Vermahnen des Pfarrers, dem etwas davon zu Ohren gekommen, vermochte so wenig ?ber diesen seltsamen Zustand, wie beim Eisen das Abraten hilft, wenn der Magnet ihm nahe kommt.

Da ?bernahm es endlich eine mitleidige unter den M?dchen, der Moidi den Kopf zurechtzusetzen. Sie hinterbrachte ihr--wahr oder zweckm?ssig erfunden, wissen wir nicht--, dass der Hirzersepp gesagt habe: Wenn's ihm drum zu tun w?re, schwarze Pudel in die Wiege zu bekommen, w?rde er die Moidi heiraten.--Die Predigt ?ber diesen kurzen und b?ndigen Text scheint eindringlich genug gewesen zu sein. Denn seit dem Tage war "die Schwarze" wie verwandelt, liess sich nirgend sehen, stahl sich vor Tagesgrauen in die Fr?hmesse, wo sie im hintersten Winkel der Kirche kniete, und wenn droben auf dem Berg ein Bursch ihr begegnete, wandte sie das Gesicht ab und schwieg auf alle Anrede. Die Putzsucht war vollends verschwunden. Das Schlechteste und Gr?bste trug sie am liebsten, und ihre krausen Haare flogen, wochenlang ohne Pflege, ihr um die Schl?fen, dass sie fast unheimlich anzuschauen war und niemand mit ihr zu tun haben mochte.

Im ?brigen tat sie ihre harte Arbeit ohne Murren, und so waren die Eltern wohl mit ihr zufrieden und liessen sie in allem gew?hren. Der Winter ging so hin. Als im Fr?hling die Wiesen zu gr?nen anfingen, kam sie eines Tages zum Vater und bat um seine Erlaubnis, auf eine Alpe ziehen zu d?rfen, die h?chste und einsamste im Passeier. Der Vater, der von allen noch die klarste Ahnung ihres unseligen Gem?tszustandes hatte, willigte unbedenklich ein, und so war einen Sommer lang die schwarze Moidi v?llig verschollen.

Desto heftiger erstaunte alle Welt, als im Herbst die Herden von den Bergen heimkamen und das Ger?cht mit ihnen ging: des alten Ingram Tochter habe einen Buben mitgebracht, ein so sauberes, bl?hweisses und rosenfarbenes Kind, als nur jemals sich ohne Vater beholfen habe, mit schwarzen, aber gar nicht mohrenhaften H?rlein, ein wahrer Staatsbub. Auch sei die Moidi, trotz der Schande, ganz wohlvergn?gt, habe die Schl?ge, mit denen die Mutter sie empfangen, ohne Klage hingenommen, dem Vater aber auf das h?rteste Verh?r nicht beichten wollen, wer der Schuldige sei. In dem Schuppen, wohin die Mutter sie verstossen, damit sie den Schimpf nicht vor Augen h?tte, habe die Tochter sich darauf, so gut es ging, einen warmen Winkel f?r ihr Kind zurechtgemacht und sei Tag und Nacht nicht von ihm wegzubringen.

Wem dies alles, zumal die ger?hmte Sch?nheit des Knaben, unglaublich schien, der hatte am n?chsten Sonntag Gelegenheit, sich von der Wahrheit des Ger?chts zu ?berzeugen. Denn am hellen Tage kam die Vielgeschm?hte vom K?chelberg herab, das Kind wie im Triumph in den Armen in ihre besten Linnen und T?cher gewickelt, und trug es mit herausforderndem Mutterstolz zur Taufe. Wenn einer sich ihr n?herte und neugierig nach dem kleinen Weltwunder schielte, stand sie sogleich still, schlug den alten Flor zur?ck, der das schlafende Gesichtlein bedeckte, und sagte fast sp?ttisch: Gelt, m?chst den schwarzen Pudel anschauen? Da, es ist nix Rares daran. Wo sollt's auch herkommen?--und dann lachte sie mit grosser Selbstgef?lligkeit in sich hinein, wenn der Beschauer, von der Zierlichkeit des Kindes ?berrascht, nichts zu sagen wusste, und setzte noch hinzu: 's ist halt nur ein schwarzer Pudel; man sollt' ihn in die Passer werfen, das w?re das gescheitest'!--und lachte wieder auf eine so wunderliche Art, dass es schien, als habe der Muttersegen ihren armen Verstand nicht eben verbessert.

Selten wohl ist eine Taufe in Meran unter so grossem Zulauf vonstatten gegangen. Als aber der Pfarrer nach den Taufpaten fragte, fand es sich, dass die Moidi diesen wichtigen Punkt g?nzlich ?bersehen hatte. Niemand meldete sich auf die Frage, wer etwa in der versammelten Gemeinde dem Kinde diesen Liebesdienst erweisen wolle; denn es dr?ngte sich keiner zu einem n?heren Verh?ltnis mit der Mutter, und die Grosseltern, der Schande auszuweichen, waren ein paar Stunden weit weg nach Lana zur Kirche gegangen. Da erhob sich endlich die zu allen Opfern der N?chstenliebe Bereite, die Tochter des alten Hirzer, die im vordersten Kirchstuhl kniete, trat an den Taufstein heran und nahm der Moidi das Kind aus den Armen. Diese L?sung des bedenklichen Knotens erschien allen als die einfachste, da die Hirzers-Ann mit dem ?berfliessenden Gnadenschatz ihres frommen Wandels der armen S?nderin am f?glichsten zu Hilfe kommen konnte. Und so wurde der Knabe, weil der Mesner, ebenfalls aushelfend, seinen Namen hergab, Andree getauft und mit grossem Gefolge von der gl?ckstrahlenden Mutter wieder durch die Stadt getragen, hinauf in den elenden Schuppen, wo er in der Nachbarschaft der Haustiere seine ersten Blicke in die Welt tun sollte.

Es dauerte nicht lange, so sprach kein Mensch mehr von diesen immerhin denkw?rdigen Ereignissen, zumal da die Moidi sich nirgend sehen liess, nur f?r das Kind lebte und all ihre fr?heren Narrheiten in die eine Leidenschaft der z?rtlichsten Affenliebe versammelt zu haben schien. Denn wie fr?her ihre eigene Person, so putzte und behing sie jetzt den kleinen Andree mit allem, was ihr irgend dazu dienlich schien. Man konnte sie droben auf einem schattigen Fleck stundenlang sitzen sehen, Kr?nze windend f?r das Kind und aus alten bunten Seident?chern seltsame Kleider f?r ihn zurechtstoppelnd, mit denen sie ihn wie eine Puppe aufschm?ckte und stolz jedem Vor?bergehenden zeigte. Da dies Treiben zwar auffallend, aber doch unschuldig war, liess man sie gew?hren. Nur der Joseph Hirzer legte den gr?ssten Abscheu gegen sie an den Tag und verbot der Anna aufs strengste, mit ihrem Patenkinde irgendwelchen Verkehr zu pflegen.

Die Moidi schien wenig danach zu fragen. Als ein Jahr darauf ihr einst so schmerzlich Geliebter sich mit einer steinreichen Bauerntochter aus Algund verheiratete, blieb sie ganz kalt und gab nicht das geringste Zeichen von Herzweh. Die ganze Vergangenheit bis zur Stunde, wo der Knabe auf die Welt kam, war aus ihrem Ged?chnis wie weggewischt, und auch von dem geheimnisvollen namenlosen Vater sprach sie nie, schien auch keinen Versuch zu machen, ihm Kunde von sich und dem Kinde zu geben.

Da geschah es, dass erst ihre Eltern und dann die Br?der, einer nach dem andern, im Lauf eines Jahres hingerafft wurden von einer Seuche, die viele Opfer in diesen T?lern forderte. Nun war auf einen Schlag das Schicksal der schwarzen Moidi verwandelt. Denn wenn sie bei Lebzeiten der Geschwister zwar immerhin keine Armut zu f?rchten hatte, so war sie jetzt durch den Alleinbesitz des Hauses und der ansehnlichen Weing?ter zu einer reichen Partie geworden; schade nur, dass die Mitgift ihrer dunklen Haut und der noch dunkleren ersten Liebschaft manchen W?hlerischen abschrecken musste.

Aber der praktische Trieb, der hier im Volke m?chtig ist, kam ihr dennoch zu Hilfe; ja sie hatte nicht einmal n?tig, bei dem Freier, der sich ihr antrug, auch ihrerseits ein Auge zuzudr?cken. Es war ein ganz schmucker Bauernsohn aus dem Dorfe Tirol, das unfern der ber?hmten Feste gleichen Namens am Ende des K?chelberges liegt wo die Wand der Muttspitze steil in die H?he steigt. Sein Vater hatte ihm zugeredet, und obwohl der Sohn nicht von den schnellsten Begriffen war, so war doch die ganze wichtige Sache mit wenigen Worten ins reine gebracht.

So auch bei der Moidi. Sie schien es ganz in der Ordnung zu finden, dass auch sie jetzt, trotz allem Vorangegangenen, an die Reihe kam. Sie scherzte w?hrend der Werbung mit dem kleinen Andree, der schon im vierten Jahre war und den fremden Burschen mit scheuen und trotzigen Augen betrachtete. Als aber dieser, wie ihm seine Mutter geraten hatte, eine grosse T?te mit Zuckerwerk aus der Tasche zog und dem Kinde reichte, war das letzte Bedenken der Moidi besiegt. Zwar bei einem Vergleich mit dem Hirzerjoseph musste des Wolfharts Franz den k?rzeren ziehen. Sein flaches, rundes, behagliches Gesicht, mit weissblonden Haaren eingerahmt, erinnerte stark an die Madonnenbilder, die, wie durch die Schablone gemalt, an H?usern, Torwegen und vollends in den Kirchen zahlreich uns begegnen. Aber die Moidi besass Schwarz genug, um in seine ?berm?ssige Helle Schatten zu werfen, und schien nicht zum wenigsten gerade durch die Werbung des Blonden sich geehrt zu f?hlen. Nach dem raschen, durchaus gesch?ftsm?ssigen Gang, den diese Dinge hier nehmen, zog der Franz schon vier Wochen sp?ter als junger Ehemann in das Haus seiner Neuverm?hlten auf dem K?chelberg, und damit war zum zweitenmal das wiedererwachte Gerede ?ber die Schicksale der schwarzen Moidi verstummt und verschallt.

Nicht f?r allzu lange Zeit. ?ber Jahr und Tag entspross dieser Ehe ein M?dchen, das nicht minder als damals der kleine Andree den teilnehmenden Nachbarn zu reden gab. Es war das leibhaftige Ebenbild des Vaters, sch?n weiss und rot, mit schlichtem blondem Haar, der Mutter in keinem Zuge ?hnlich, als dass sich fr?h Anwandlungen einer phantastischen Gem?tsart, einer leicht beweglichen Einbildungskraft und weiblicher Eitelkeit an ihr zeigten, nur weniger ausschweifend als bei der Mutter und durch die grosse Anmut ihrer kleinen Person ins Liebensw?rdige gemildert, aber immerhin gef?hrlich, da es dem Kinde an einer festen Hand fehlte, die seinen Leichtsinn gez?gelt und die sch?nen Wucherblumen aus der jungen Seele sorgsam ausgereutet h?tte.

Denn kaum konnte die kleine Maria die ersten kindischen Schmeichelk?nste spielen lassen, so stahl sie der Mutter das Herz so vollst?ndig, dass sie dem ?lteren Bruder selbst das Pflichtteil der Barmherzigkeit mit entwendete. Er, der fr?her der Abgott seiner Mutter gewesen, war nun auf einmal nicht allein ihrer Gleichg?ltigkeit, sondern einer entschiedenen Abneigung, die sich mit den Jahren zu offenem Hasse steigerte, wehrlos preisgegeben. Es half nicht viel, dass der gutm?tige Pflegevater sich des Knaben annahm. Ja selbst, als die kleine Schwester heranwuchs und sich mit st?rmischer Z?rtlichkeit an den Bruder anschloss, vermochte sie, die sonst alles durchsetzte, den Widergeist der Mutter nicht zu bez?hmen. Vielmehr schien gerade ihre F?rsprache den unnat?rlichen Hass zu sch?ren, da sich nun eine Art von Eifersucht hinzugesellte, eine harte und b?se Missgunst auf die liebliche Vertraulichkeit, mit der die Kleine dem pl?tzlich Verstossenen begegnete.

So viel freilich war durch das Dazwischenstehen der kleinen Maria dem armen Knaben gewonnen, dass er vor leiblicher Misshandlung gesch?tzt wurde. Denn das erste Mal, wo sich die entartete Mutter an ihrem einstigen Liebling t?tlich vergriff, war auch das letzte. Damals zuerst wurde die Kleine von jenem seltsamen Nervenkrampf befallen, von dem wir im Beginn unserer Erz?hlung ein Beispiel erlebt haben. Zum Gl?ck war der Vater zu Hause, um die widersinnigen Heilversuche zu hindern, mit denen die erschrockene Mutter auf das Kind einst?rmte. Es gelang dem Bruder, durch sanftes Streichen mit seinen zitternden H?nden die Starrheit zu bezwingen, bis ihm das Kind schluchzend um den Hals fiel und endlich schlafend von ihm in die Bettkammer getragen werden konnte.

Seit diesem Vorfall, dem bei anderen j?hen Anl?ssen ?hnliche folgten, erhob die alte Moidi bis zu jenem verh?ngnisvollen Tage der Trennung nicht wieder die Hand gegen den Sohn. Ihre Abneigung wurde aber nur finsterer und gewaltsamer, weil sie nicht mehr in heftigen Szenen sich Luft zu machen wagte. Sie schien das Dasein des Knaben v?llig verleugnen zu wollen, um sich einzig dem M?dchen zu widmen. F?r diese war sie unerm?dlich, ?rzte und Kr?uterwelber zu Rat zu ziehen, Wallfahrten zu machen, Messen lesen zu lassen und durch die schrankenlose Nachgiebigkeit ihr wom?glich jeden Anstoss aus dem Wege zu r?umen. Der schwache und weichm?tige Vater liess alles geschehen. Es war ihm nicht wohl in seinem Hause. Aber die Stadt lag ja so nahe zu seinen F?ssen, dass er die gr?nen B?sche vor den Schenkt?ren bis herauf winken sah. So heiligte er gewissenhaft die zahlreichen Bauernfeiertage, von denen der tirolische Kalender ?ber und ?ber rot wird, und erz?hlte jedem, der es h?ren wollte, mit ahnenstolzer Gem?tsruhe, dass drei aus seiner Familie in den letzten f?nfzig Jahren am Delirium gestorben seien, was nicht die schlimmste Todesart sei.

Seinem Weibe war er l?ngst gleichg?ltig. Sie liebte niemand auf der Welt als das blonde Kind. Auch wurde sie dem Verkehr mit Nachbarn und Verwandten mehr und mehr entfremdet, da ihre unnat?rlichen Schrullen den Leuten vollends ein Grauen erweckten. Das Haus lag einsam auf dem nackten Felsgrunde, ganz abseits von der Strasse, die sich um den K?chelberg hinauf nach Dorf Tirol windet. Niemand sprach sie im Vor?bergehen an; zu niemand ging sie; in der Kirche, die sie vor Tage besuchte, blieb der Platz neben ihr leer.

Es war unter solchen Umst?nden nicht zu verwundern, dass der Joseph Hirzer jede Ann?herung an die Moidi und ihr Haus von Jahr zu Jahr standhafter vermied, seiner Schwester unerbittlich den Weg abschnitt, wenn ihr Gewissen sie antrieb, sich nach ihrem Taufpaten umzusehen, und seinen eigenen Kindern, die mit Andree und der blonden Moidi in der Schule zusammentrafen, aufs strengste verbot, zu Hause von ihnen zu erz?hlen. Er selbst war in allen St?cken m?chtig emporgekommen, galt f?r einen der wackersten Haush?lter, eifrigsten Weinz?chter und rechtschaffensten Ehrenm?nner, w?hrend seine Schwester in gleicher Weise zunahm an Gnade bei Gott und den Menschen, zumal sie ihr ganzes Verm?gen im Testament an Kirchen und Kl?ster vermacht hatte, wof?r die Priester ihr verhiessen, dass sie unfehlbar "von Mund auf in den Himmel kommen w?rde". Ihr Bruder hatte da wohl nicht einreden d?rfen. Sein Sohn und die drei stattlichen T?chter waren auch ohne jede Erbschaft von der Tante hinl?nglich versorgt durch die bl?henden weiten G?ter beider Eltern. Und als ihre Mutter, die Erbin von Algund, noch in guten Jahren starb, trat die Tante Anna an ihre Stelle und sorgte durch liebevolle Pflege daf?r, dass ihres Bruders Kinder auch ohne jedes klingende Verm?chtnis sie in gutem Andenken behalten mussten.

Die Kinder aber, obwohl sie den Vater f?rchteten, konnten ihm doch nicht so blindlings gehorchen, dass sie auch in der Schule zu Meran dem Andree und seiner Schwester ausgewichen w?ren. Moidi, mit ihrem leichten, lachlustigen Sinn, kam ihnen, wie allen, die sich ihr freundlich zeigten, ganz ungebunden entgegen; Andree duldete sie wenigstens, da er von der Tante Anna, seiner Pate, wusste, dass sie so heilig sei und nur der Mutter wegen sich nicht um ihn bek?mmern d?rfe. Im ?brigen war er ein schweigsamer, sinnender, leicht aufbrausender Knabe, der am liebsten sein Wesen f?r sich hatte und fr?h eine ganz befremdliche Eifersucht auf die Schwester an den Tag legte. Es war ihm am wohlsten an Feiertagen, wenn sie droben in der luftigen Einsamkeit ohne fremde Kinder den ganzen Tag beisammen blieben und die Kleine sich f?r niemand putzte als f?r ihn allein. Sie hatten unter einem ?berhangenden Felsst?ck, wo wilde Beeren in F?lle wuchsen und die rauhe Wand dicht mit Efeu verkleidet war, ihre Einsiedelei errichtet, mit vielen wichtig beh?teten und nur von den Eidechsen ausgesp?rten Verstecken f?r ihre kindischen Siebensachen. lm Hochsommer, wenn das Rebenlaub bis an den Fuss ihres Schlupfwinkeis wucherte, sassen sie da halbe Tage lang, und die Kleine reihte unerm?dlich mit spitzer Nadel die blanken gelben Maisk?rner auf lange F?den, woraus ein lustiges Geschmeide entstand. Waren die. Ketten fertig, so kniete der Bruder vor Moidi hin und schlang ihr den Schmuck in k?nstlichen Ringen um Stirne, Hals und Arme. Dabei hatten sie allerlei konfuse, and?chtige Vorstellungen, und die Geschm?ckte f?hlte eine dunkle Wonne, sich angeschaut und bewundert zu wissen, wohl gar etwas vom Heiligenschein um ihren t?richten Kindskopf zu tragen. Der Bub war noch feierlicher, und wehe dem, der in solchem Augenblick dazu gekommen w?re und seine Huldigung gest?rt h?tte. Der Schwester selbst nahm er es jedesmal ?bel, wenn sie pl?tzlich zu lachen anfing und aus ?bermut und Langeweile die gelben Kettchen zerriss, dass die K?rner eilfertig den Berg hinabrollten, und sie sich nach einem andern Spiel umsehen mussten.

Die ersten Jahre liess sie die Mutter bei all ihren Heimlichkeiten und vertrauten Schleich- und Schlupfwegen ungest?rt. Als aber der Andree gr?sser wurde und mit seinem scharfen Auge und seinen fragenden Mienen immer verwundener und vorwurfsvoller ihrem Hass gegen?berstand, suchte sie ihn der Kleinen durch allerlei b?se Reden und schwarze Verd?chtigungen zu verleiden und ergriff jede Gelegenheit, die Kinder zu trennen, mit geh?ssiger Schadenfreude. Sie lag ihrem Manne sogar an, den unn?tzen Buben, der doch keine Lust am Arbeiten habe, zu dem Zehnuhrmesscr zu tun, dass der ihm Unterricht gebe und einen Geistlichen aus ihm mache. Da der Knabe einen aufgeweckten Verstand und grossen lerneifer in der Schule gezeigt hatte, leuchtete der Plan beiden M?nnern ein, und Andree zog in die Stadt hinunter zu dem geistlichen Herrn. Er war sehr still und traurig beim Abschiede von der Kleinen, die aber lachte und von der Trennung nichts begriff.--Der Hilfspriester wohnte unten in der langen Laubengasse Merans, die ihren Namen hat von den zwei Reihen steinerner Arkaden, in welche die Sonne keinen Zugang findet. Die schmalen H?user mit winkligen engen H?fen und d?steren Treppenfluren, meist uralt und die wenigsten sauber gehalten, haben eine betr?chtliche Tiefe, und an die Hintergeb?ude stossen nach Norden zu weite Weing?rten, bis an den Fuss des K?chelberges, nach S?den ?ffnen sie sich gegen die Stadtmauer. Hier sind hellere R?ume, und man blickt aus den Fenstern auf die Wassermauer und ?ber den Fluss hinweg ins breite Etschtal hinaus. Auch das bescheidene Quartier des Hilfspriesters genoss diesen Vorzug. Aber der Knabe, an die freie Luft oben auf der H?he gew?hnt, schien sich dennoch ein Gefangener. Ja, er h?tte wohl gern seine sonnige Dachkammer mit einem finsteren Nordfensterchen vertauscht, von dem aus er den Berg und die kleine Felsh?hle oben ?ber den letzten Reben, den Ort seiner Kinderspiele, h?tte sehen k?nnen. Er verstummte noch mehr als sonst, trotz alles Zuredens seines freundlichen Lehrmeisters. Das Lernen war ihm pl?tzlich verleidet; er ass wenig und schlief schlecht, so dass er in vier Wochen blass und hohl?ugig wurde. Und eines Tags kam er zu seinem Lehrer und erkl?rte ihm, er werde sterben, wenn man ihn l?nger in der Stadt halte. Den Namen seiner Schwester hatte er nie genannt. Aber es war dem mitleidigen Seelsorger klar, dass ihn ein brennendes Heimweh nach ihr nage, und best?rzt ?bernahm er es, der Mutter die Notwendigkeit der R?ckkehr vorzustellen. Die Alte w?tete und schalt und wollte nichts davon h?ren. Am Abend desselben Tages aber klopfte der Knabe drohen in der H?tte wieder an, und nach einem leidenschaftlichen Auftritt, der wieder mit einem Krampfanfall der kleinen Marie endigte, ergab sich die Mutter in das Unab?nderliche, unter der Bedingung, dass der entlaufene Student dem Vater Knechtsdienste tun und sein Lager in einem Winkel des Schuppens hinter dem Hause aufschlagen musste.

Die Kleine war sehr gl?cklich, ihn wieder zu haben, und er selbst schien um diesen Preis keine Entbehrung und Zur?cksetzung zu hart zu finden. Er war nun anstellig zu allem, was ihm der Pflegevater auftrug, arbeitete in den Weinbergen, liess sich willig ?ber Land schicken und sah die Mutter nur bei den Mahlzeiten, wo zwischen beiden nie ein Wort gewechselt wurde. Da er kein Geld erhielt und an Kleidern nur das Notd?rftigste, blieb er von den anderen Burschen seines Alters, von den Schenken und Kegelbahnen ein f?r allemal weg und schien nichts daran zu entbehren. Denn an den Feiertagen pflegte er mit der Schwester nach wie vor lange Stunden hindurch zusammenzusitzen, und obwohl beide heranwuchsen, er ein kr?ftiger J?ngling wurde und sie l?ngst den Burschen ein Ziel mancher zaghafteren oder dreisteren Werbung, war ihr Verkehr doch noch ein kindischer, ihr Gespr?ch ein t?richtes Geplauder. Sie tat, was sie nur wusste und konnte, sein hartes Leben zu erleichtern, brachte ihm von allem, was sie etwa an guten Bissen von der Mutter erhielt oder, da sie n?schig war, sich in der Stadt kaufte, seinen br?derlichen Anteil, und wenn er jenes verschm?hte, nahm er doch ihre eigenen Gaben mit sichtbarer Freude. Oft nach einem schweren Arbeitstag, besonders in der Zeit der Lese, wenn die Sonntagssonne in seinem fensterlosen Schuppen ihn nicht zu wecken vermochte, schlich sie zu ihm hinein und sass im Dunkeln neben seiner Streu, die nur durch ein schlechtes Laken und eine Pferdedecke zu einem Bette wurde. Sie hatte ihren Spass, wenn er im Dunkeln nicht begriff, dass sie bei ihm war, und ihre Hand, die ihm in den Haaren zauste, schlaftrunken abzuwehren suchte, als komme ihm etwa eine Feldmaus zu nahe. Wachte er dann auf, so h?rte er ihr helles Lachen neben sich und lag nun wohl noch eine Weile in verstelltem Schlaf, um ihre Neckereien. l?nger zu erleiden. Sie tat es nicht anders, als dass er sie zur Kirche begleiten musste, wo er dann von den Burschen, die sich ihr n?herten und die sie zu verscheuchen gar keine Lust bezeigte, manchen eifers?chtigen Stich ins Herz empfing. Hier begegnete er auch oft seiner Patin, der Tante Anna, und h?tte sich ihr, da sie ihn stets mit einem stillen und freundlichen Auge gr?sste, gern gen?hert. Aber der Joseph Hirzer, der dann Wache hielt, liess durch sein starres Anblicken deutlich erkennen, dass er sich jede Ann?herung des vaterlosen Burschen verbitte. Und so blieb es auch zwischen den Kindern bei einem gelegentlichen Gruss, obwohl die Moidi ?fters dem Bruder mit Lachen erz?hlte, dass die Rosina, des Hirzers j?ngste Tochter, die nach der Verheiratung ihrer beiden Schwestern noch allein im Hause blieb, wieder einen so langen Blick nach ihm getan habe und sicherlich in ihn verliebt sei.

Jedesmal, wenn hiervon die Rede zwischen ihnen kam, oder eine Hochzeit das Tagesgespr?ch war, wurde der J?ngling doppelt nachdenklich und brach eilig ab. Ihm selbst schienen alle M?dchen eher unbequem und alle Liebesscherzreden ein Abscheu zu sein. Ob er dar?ber nachdachte, jemals ein eigenes Hauswesen zu gr?nden, war nicht zu entr?tseln. Aber mit einem seltsamen Ausdruck tiefer Angst sah er der Schwester ins Gesicht, sooft deren leichtsinnige Gedanken bei ihrer Zukunft verweilten und eine Trennung von ihm ihr als eine M?glichkeit erschien, die doch wohl zu verwinden w?re. Du bist ein Kind, sagte er dann. Wer darf dich heiraten? Die M?nner sind alle schlecht und Ehstand ist Wehstand. Du sollst bei mir bleiben, ich will schon f?r dich schaffen und dir ein gutes Leben machen. Was schwatzest du von anderen? Eh' mir einer gut genug ist f?r dich, muss die Passer den Ifinger hinanfliessen.

Sie lachte zu solchen Reden und liess sie sich gefallen, weil sie ihr schmeichelten. Auch schien keine ernste Neigung in ihrem leichten Sinn wurzeln zu k?nnen. Die Mutter tat das ihrige, Freier, die sich von ferne blicken liessen, zur?ckzuschrecken. Und so blieb durch viele Jahre droben auf dem K?chelberg die wunderliche Gesellschaft beisammen, und keine ?nderung war abzusehen.

Da erlag eines Tages der Mann dem Einflusse jenes Sterns, der schon seinen w?rdigen Vorfahren zu Grabe geleuchtet hatte. Er starb im S?uferwahnsinn. Von dem Tage an war das eifrigste Bestreben der Witwe darauf gerichtet, den Sohn aus dem Hause zu schaffen. Eine n?here Schilderung jenes b?sen wilden Auftrittes, der ihr zum Ziele verhalf, wird uns gern erlassen werden. Die Geschwister trennten sich; die blonde Moidi hatte keinen Mut, dem Bruder zuzureden, sich einer zweiten Misshandlung auszusetzen. Geh nur, sagte sie. Es ist besser so. Ich verlass' dich schon nicht. Du weisst ja, ich mach' mit ihr, was ich will, und wenn sie mir das T?rl versperrt, spring' ich zum Fenster hinaus und lauf zu dir.

Auch hielt sie Wort. Aber was half's ihm, dass keine Woche verging, wo sie ihn nicht aufsuchte, ungerechnet ihr Wiedersehen an den Sonntagen? T?glich, st?ndlich war er ihre N?he gewohnt gewesen. Jenes kindische Heimweh, das ihn vom Zehnuhrmesser fortgetrieben hatte, wuchs ihm oft genug, wenn er nach heisser Arbeit unter den Kastanienzweigen sass, so unbezwinglich ?ber den Kopf, dass er den schroffen Abhang des Berges dicht ?ber dem Dorfe Gratsch hinanst?rmte, um nur vor Schlafengehen noch das Dach des H?uschens zu sehen, oder gar etwas, das dem M?dchen selber glich. Auch geschah es mehr als einmal, zumal an Feiertagen, wenn sie an den verabredeten Ort nicht kam, dass er in fiebernder Eifersucht die Wege nach ihrem Hause bewachte, ob etwa ein Besuch sie zur?ckhalte. Er lag dann f?rmlich im Hinterhalt. Kam ein Bursch vorbei, bergab schreitend, so stellte er sich schlafend, um seine Mienen auszukundschaften. Ihm war unselig dabei zu Mut. Eine Ahnung d?mmerte in ihm auf, dies alles sei nicht recht und l?blich. Warum g?nnte er der Schwester nicht, was allen M?dchen zukam, Freiheit in W?nschen und Neigungen? Mit heisser Angst jagte er diese Gedanken von dannen, die immer zudringlicher zur?ckkamen. Freilich ihr Vater war nicht der seine. Aber waren sie darum weniger Geschwister?

Oft genug kam es ihm auch, dass er fort m?sse, dass es ihm draussen leichter ums Herz werden w?rde. Was stand ihm auch im Wege? Was hielt ihn? Hier nicht besser als in der weiten Welt musste er sich hart durchs Leben schlagen. Und wer weiss, er konnte wohl seinen Vater draussen antreffen; es war in aller Weise das ratsamste, die Luft zu ver?ndern. Wenn er nur zum ersten Schritt die Kraft erschwungen h?tte!

Von neuem w?lzte er diese Gedanken, als er heut unter den Reben bei der Schlafenden sass und das Spiel des Sonnenstrahls auf ihrer Stirn bewachte. Die Ersch?tterung, von der sie nun erquicklich und erinnerungslos ausruhte, zitterte ihm noch durch alle Adern, und der Anblick ihrer unschuldigen Ruhe mehrte nur seine Verwirrung. Er suchte in sich nach dem Mut, jetzt ein feierliches Gel?bde zu tun, das ihn forttriebe von hier, wo die nat?rlichsten Bande sich so unheilvoll verstrickt hatten. Neben ihr begriff er nur zu gut, wie n?tig es sei, zu fliehen. Aber wenn er darin wieder allein war, f?hlte er, dass es unm?glich sei.

Er r?hrte die Schlafende nicht an, er hatte seit seinen Kinderjahren nicht mehr gewagt, ihren roten lachlustigen Mund zu k?ssen. Aber die Scheu, mit der er sie betrachtete, war mit einer dumpfen, leidenschaftlichen Qual gemischt, und ihr leichter Atem, der sein Gesicht streifte, trieb ihm das Blut heftig zum Herzen.

Es ward schon abendlicher draussen, denn der Marlinger Berg im Westen verbirgt die Sonne fr?h. Die Schl?ferin erinnerte sich jetzt, richtete sich im Grase auf und sah mit grossen Augen umher. Als sie den Bruder neben sich erblickte, lachte sie ihn freundlich an. Wie lange hab' ich geschlafen? sagte sie verwundert. Wie kam es denn, dass ich mich hier niedergelegt hab'?

Es war heiss, sagte er. Nun aber geh nach Haus, Moidi. Ich muss dr?ben nachschauen, ob alles in Ordnung ist.

Sie stand auf und gab ihm die Hand. Gute Nacht, Andree, sagte sie hastig, denn eine Erinnerung an das Vorgefallene stieg dunkel in ihr auf. ?bermorgen ist Sonntag. Du kommst doch in die Kirche?

Nein, Moidi. Du weisst ja, dass ich auf dem Posten bleiben muss, solang' ich den Saltner mache.

Es ist wahr, erwiderte sie nachdenklich. Ich komm' aber schon wieder zu dir. Gute Nacht!

Er k?mpfte mit sich, ob er sie bitten solle, nicht mehr zu kommen. Aber ehe er sich entschliessen konnte, war sie schon auf und davon. Am Ausgang der Laube stand er und sah ihr nach, wie sie behende das steile Treppchen hinanstieg. Der lange hundertfaltige Rock bewegte sich zierlich um ihre Kn?chel, bei jedem Schritt wie ein F?cher die Falten ?ffnend und wieder zusammenschlagend. Von oben winkte sie noch einmal zur?ck mit der Hand. Er gr?sste nicht hinauf; das Gel?nder zitterte, an dem er angelehnt stand, und ein Seufzer, den er lange verhalten hatte, befreite ihm doch nicht seine beklommene Brust.

In diesem Augenblick h?rte er einen raschen M?nnerschritt von unten heraufkommen und erkannte einen seiner Kameraden, einen langb?rtigen starken Burschen, ebenfalls mit dem Trutzhut ausger?stet, statt der Hellebarde eine grosse Fichtenkeule in der rauhen Faust, deren wuchtiges Ende er lustig winkend schwang. Andree! sagte er, als er ihm nahe genug war, wie ist's auf die Nacht? Soll ich mit dir wachen? Du hast mit dem Welschen zu tun gehabt, hab's wohl gemerkt. Und sei gewiss, er schenkt dir's nicht und bringt auch wohl Verst?rkung mit. Schau, da hab' ich was, um den Hunden den Spass zu versalzen!--und er zog aus der Brusttasche seiner Lederjoppe eine kleine Pistole und liess den Hahn knacken.

Ich dank', K?bele, erwiderte Andree. Der Welsche ist feige wie die S?nde. Allein kommt er einmal nicht, und wenn's ein ganzer Haufen ist, sind wir zwei doch zu schwach gegen sie. Ich gebe dann das Zeichen, und du magst's den andern sagen, dass sie fein aufpassen. Das Ding da--er wies auf die Taschenpistole--lass aber in Frieden. Bei der Dunkelheit hat's keinen Schick, und du verpuffst bloss das Kraut. Fassen wir einen, so taugt ihm die Jacke voll Schl?ge besser als so ein Loch in der Haut, das er nachher vorweisen kann gegen uns.

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