Read Ebook: Nicht der Mörder der Ermordete ist schuldig: Eine Novelle by Werfel Franz
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Ebook has 1369 lines and 38032 words, and 28 pages
Unter den allzu kurzen ?rmeln traten viel zu weit die angekn?pften Manschetten vor, der Kragen schien eng und von einer veraltet unerfreulichen Fasson zu sein. Die gen?hte Krawatte liess den gelben Kragenknopf sehn. Die Hosen, ?beraus geb?gelt, spiegelten hinten, was dadurch besonders sichtbar wurde, dass der Rock ebenso kurz wie alles andere war.
Tadellos allein wirkten Frisur, -- Stock, Hut und Handschuhe, die der Vater, als w?re er das sehr gewohnt, leichthin in der Hand trug.
Wie wach ist doch ein Kinderherz!
Ich verstand so viel!
Der Mann, der mein Vater war, jetzt hatte er sich enth?llt.
Armut, Engbr?stigkeit und Sch?bigkeit; nun traten sie als Wahrheit hervor, nachdem Glanz und Planz im Kasten hingen! Und doch!
Eine ungeheure Welle von W?rme und Mitleid f?r ihn stieg in mir auf.
Wir gingen ?ber die Strasse, beide mit dem dummen und kniewerfenden Schritt der Soldaten.
,,Wohin gehen wir?" wagte ich zu fragen.
,,Das wirst du schon sehen."
Als wir mitten auf der grossen Br?cke standen, wusste ich pl?tzlich, und das Blut stockte mir vor wunderbarem Entsetzen: ,,Es geht auf die Hetzinsel." Die Hetzinsel war gleichsam der Wurstelprater unsrer Stadt.
Meine Kameraden, die sie hatten besuchen d?rfen, berichteten das Tollste. Panoptikum, Grotten -- und Bergbahn, verzaubertes Schloss, Photograph, Schiessst?tten, rasende Karusselle, elektrische Theater, dass diese Entz?ckungen nicht fehlen durften, war ja selbstverst?ndlich. Dass aber ein wirkliches bodenst?ndiges St?ck W?ste da w?re, mitten auf dieser Flussinsel, ein St?ck wahrer Sahara, auf dem echte Beduinen ab halb vier Uhr allt?glich ihre ,,Fantasia" ritten, das hatte mir ein besonders gl?cklicher und gewiegter Besucher versichert.
Mein Vater und ich stiegen die breite Treppe, welche die grosse Br?cke seitlich unterbrach, hinab, traten durch ein hochgebautes Torger?ste, von dem hundert brennende Fahnen niederwallten, und standen schon im Wunder.
Im ersten Augenblick verging mir der Atem vor dem gigantischen L?rm, der auf mein Ohr eindrang, das angstvoll nur an das Schrillen der Exerzierpfeife und die Bosheit des Lehrerworts gew?hnt war. Selbst die Furcht vor meinem Vater schwand f?r eine Sekunde. Ich wollte die Hand ausstrecken, um die seine anzufassen, aber durchblitzt fuhr ich noch im letzten Augenblick zur?ck.
Unz?hlige Menschen in unz?hligen Gruppen wogten durch-, mit-, gegeneinander und bildeten doch eine gleichgerichtete gemeinschaftliche Str?mung, gerade so wie die vielen durcheinandertanzenden Wirbel des Wassers einen Strom. Die irrsinnige Musik, der Triumph der Menge schloss mich ein wie etwas ungeahnt G?tiges, mein kleiner zertretener Mut begann zu wachsen, ich sah diesen Vater neben mir fast klar beobachtend an und f?hlte: ,,Was ist denn der M?chtige da heut im grauen, nicht mehr neuen R?ckchen denn anderes, als Einer unter Vielen!? Wem kann er heute was kommandieren, wer w?rde ihm gehorchen!? Keiner schert sich um ihn, keiner gr?sst ihn, kein Soldat salutiert, ja -- sie schauen ihn ruhig frech an und scheuen sich gar nicht, ihn zu puffen."
Mein Vater schien ?hnliche Gedanken zu hegen.
Wenn ihn jemand ber?hrte oder gar auf den Fuss trat, knirschte er mit den Z?hnen und stampfte auf. Das Gesicht war verzerrt und verfallen. In seinen vor der ?berm?ssigen Sonne zusammengekniffenen Augen blitzte Hass. Sein heute unvorteilhaft zur Schau getragener K?rper k?mpfte um die M?glichkeit, pl?tzlich luftleeren Raum um sich zu haben, aus dem Bann der Menge zu fallen, eng und goldverschn?rt mitten in einer tausendf?ltigen Stille dazustehen.
Oh, wie sollten kurz und scharf aus seiner Kehle die Kommandoworte fahren: ,,an!" und ,,Feuer!"
Wir aber wurden im unbesiegbaren Strom von Leibern, Gel?chtern, Gekreischen vorw?rts gestossen, und je mehr ich f?hlte, dass mein Vater darunter litt, um so mehr genoss ich die s?sse Rache, ihn zu dieser Ohnmacht verurteilt zu sehen. Seltsam! Ich erlebte den ersten Sieg gegen diesen Vater in der Stunde, da er mir die erste G?te entgegenbrachte.
Indessen waren wir der schmalen Gasse zwischen schreienden Buden, dem Schweissgeruch der in einer Flussenge zusammengezw?ngten Menge, der Unzahl von Kindertrompeten und bunten Luftballons entkommen und standen im Strudel eines grossen Platzes.
Viele gewaltige Orchestrions und elektrische Orgeln donnerten.
Dreizehn Jahre alt!
Es war das m?chtigste Erlebnis, das ich bisher empfangen hatte, und dieses Erlebnis wurde vielleicht nur von einem noch ?bertroffen, als ich von Bord des ,,grossen Kurf?rsten" die vielen Begr?ssungsorchester durcheinandertoben h?rte, die uns mit einer nie geschriebenen D?monsmusik im Lande der Hoffnungen empfingen, wo ich jetzt diese Geschichte aus meinem Leben aufzeichne.
Die elektrischen Orgeln br?llten, die langgezogenen Schrecknisse ihrer Opernmelodien zu einem fabelhaften Chaos verschlingend.
Ich stand ersch?pft in diesem Platzregen von harmonischen Felsen. Mein K?rper war eingeschlafen, ich konnte mich kaum r?hren.
Der Vater zog mich in ein Ringelspiel. Ich musste mich auf ein Pferd mit ?bertrieben geschnitztem Hals setzen und die Z?gel in die Hand nehmen. O, welch ein eigent?mlicher Geruch von Holz, Leder und warmen Rosshaaren! Die Farben und Gestaltenf?lle war zu gross, als dass ich h?tte noch unterscheiden k?nnen. Hohl setzte die Orgel ein: ,,M?llerin du Kleine!" Das Spiel begann sich langsam zu drehen. Ein Mann in kurzen Hosen und schwarzem Trikot avancierte und retirierte schneidig auf der rotierenden Scheibe. Oben wehten rote Vorh?nge ?ber Kinderjuchzern. Die Bewegung wurde schneller, immer schneller, die Drehscheibe, auf der die Pferde, Wagen, Drachen, K?nigstiger, L?wen, Traumtiere liefen, schien einen Trichter bilden zu wollen, -- ich lehnte mich mit gl?henden Wangen zur?ck, um mich dem Rausch der Schnelligkeit hinzugeben. Da aber sah ich meinen Vater, gross, wie ?ber alle anderen gewachsen, dastehen, scharfen Blicks, vorgestellt den rechten Fuss, und den Stock, wie eine Longierpeitsche in der Hand. Er rief mir im Ton des Reitlehrers zu:
,,Gerade sitzen! Oberk?rper zur?ck!"
Doch -- schon war ich vorbei und nahte voll Angst in der neuen Tour. Unbeweglich stand er da. Ich h?rte seine Stimme:
,,Sattel auswetzen!"
Vor?ber! W?hrend der n?chsten Tour hatte ich schon den bitteren Geschmack im Munde. Des Vaters Stellung war um keinen Zoll ver?ndert.
Und wieder die Stimme.
,,Schenkel an den Sattel, Fussspitzen ausw?rts."
Als ich von meinem Holzpferd stieg, war ich traurig und zerschlagen wie nach einer Pr?fung.
Mein Vater hatte sich f?r den kurzen Augenblick meines Sieges von vorhin bitter ger?cht. Doch gab er sich damit zufrieden, tadelte mich nicht weiter und l?ste Karten f?r die Grottenbahn, deren Geheimnisse ein Zwerg im Kost?m der Hofnarren und eine Riesendame mit der Pauke ausriefen. Diesmal nahm der Vater teil, doch zeigte sein Gesicht keine Regung. Die Orgel, die hier spielte, war m?chtiger als die der anderen Unternehmungen. Es ging von ihren Tonungeheuern ein Luftzug aus, der mir wie Zauberei erschien. Wir fuhren knarrend in den schwarzen Schacht ein. Da es ganz finster war, hatte Gott den Vater von mir genommen. Ich sah ihn nicht. Die Beklommenheit fiel und ich ?berliess mich dem Traum. Aber es waren viele Tr?ume:
Hexen ritten, w?hrend der Winterwind die Tannen entwurzelte, d?rr, nackt und mit flatternden Str?hnen auf wippenden ?sten. Schweigend, gr?n, unendlich tat sich der Meerboden auf. Algen sanken wie Schleier nieder, langsam schwebten Riesenquallen, namenlose Fische zogen in Scharen durch eine warme Str?mung, ein Tier, das bl?uliche Strahlen warf und wie eine Lampenkugel mit Schwanz und Flossen aussah, stieg majest?tisch empor. Auf dem Grunde, der ein Gebirge, gebaut aus Muscheln, Korallen, Riesenkrebsen, rostigen Ankern und verstreuten Edelsteinen war, faulte die von Fischen angefressene Leiche eines Steuermanns, und ganz in der Ferne, wo der Schein der Tiefe glasig wie unnat?rlicher Schlaf erschien, schwankte das Wrack einer Fregatte mit hohem Kiel, gekipptem Mast und quadratischen Kabinenluken im langsamen Rhythmus des unsichtbaren Wogengangs. Vom Bugspriet schimmerte eine winzige Laterne seit Jahrhunderten unerloschen mitten im Leib des Wassers. Doch nicht genug damit. Auch die Wolfsschlucht erlebte ich. Der Wind st?rzt die Br?cke ein, die ?ber den Wasserfall f?hrt, Eulen schweben, das Wildschwein ist zu h?ren, zwei T?ne grunzt es ununterbrochen wie ein Fagott, Kaspar giesst im Flammengeprassel die Freikugeln, Samiel f?hrt im roten Feuermantel aus einer H?hle.
Ich kannte diese Geschichte sehr gut. Ein Kamerad, der einzige, mit dem ich mich verstand, hatte sie mir oft erz?hlt.
,,Samiel hilf!" schallte es durch den Wind. Wir rasselten weiter ins Dunkel. Ich vernahm die Stimme des Vaters.
,,Was war das?" fragte er, nicht wie einer, der pr?ft, sondern wie einer, der selbst nichts weiss. Da wir uns ja nicht sahen, durfte er sich etwas vergeben.
,,Das war Freisch?tz," gab ich zur Antwort.
,,Was ist das, Freisch?tz?" h?rte ich seine Stimme, diesmal aber ohne Nachdruck.
,,Freisch?tz ist eine Oper," dozierte ich, Wort f?r Wort setzend wie ein Lehrer.
,,Eine Oper -- so?!"
Der Vater meinte das verdriesslich und gleichg?ltig, aber es war nicht zu vertuschen, es gab eine Welt, wohin er mir nicht folgen konnte; ich hatte ihn ?berwunden. Stolz straffte mich. -- Jetzt h?tte ich reiten k?nnen!!
Das Gr?sste aber, was es gab, war das Erdbeben von Lissabon. Trotzdem einer der Mitsch?ler mir vorgeschw?rmt hatte, in der Grottenbahn w?re der ganze Weltuntergang zu sehn, war ich nicht entt?uscht.
Wie die H?user der Stadt dastanden grell und weiss in dem blauesten aller Tage, wie das Meer voll roter und gelber Segel den Horizont hinanstieg, wie jetzt nach und nach das wilde Gezwitscher der V?gel verstummt, und -- die Sonne steht hoch am Himmel -- es langsam immer dunkler und toter wird! Wie man f?hlt, dass die Menschen vor der grauenhaften Erscheinung dieser Dunkelheit mitten am Tag sich in die H?user fl?chten und in den Kellern verstecken! Da ist es auf einmal ganz finster und pl?tzlicher Sturm wirbelt eine ungeheure Staubhose in die Schw?rze, der das Tosen von Millionen Donnern, Kanonenschl?gen, Hagelwettern und Explosionen folgt. Unsichtbar das Meer mit einer Riesensturzflut ?berschwemmt die Nacht und tritt sogleich zur?ck. Und diese Finsternis? Dauert sie tagelang, jahrelang oder nur die halbe Minute, die sie wirklich dauert? Jetzt hellt sie sich ein wenig auf. Feuerschein immer mehr, und der Riesenbrand der Stadt leckt mit Millionen Flammen und Schatten den Himmel aus, w?hrend heiser und schwach -- denn wie ferne in Zeit und Raum geht dies alles vor sich -- Zischen, Sud und Geprassel das Z?ngeln begleitet.
Gleich als wir ins Freie traten, wurde es mir in der Seele warm und gut. Dass ich gewusst hatte, dass es ,,Freisch?tz" und ?berhaupt ein Ding gab, das sich Oper nannte, und dass ich meinen Vater hatte belehren k?nnen, richtete mich auf. -- Einst w?rde ich Rapport halten, und sein Mund, der nur den harten Akzent des Dienstes kennt, wird stocken m?ssen.
,,Nun wollen wir uns restaurieren", sagte der Vater. Wir kehrten in einen Kaffeegarten ein. Ach, wie g?tig war doch heute der Gestrenge. Er fragte mich sogar: ,,Was w?nschest du zu nehmen, Karl?"
Ich brachte kein Wort heraus. Er aber kaufte dem Kuchenpikkolo drei Leckereien ab, legte zwei davon zu der Tasse Schokolade, die er mir bestellt hatte und behielt selbst nur eine. Mein Herz sch?mte sich.
Das war der Papa, der vor mir sass. Der Grosse, Bewunderte, Alleswissende, Allesk?nnende! Wen hatte ich denn sonst noch auf der Welt als ihn? Ich liebte ihn ja! Ich sehnte mich in bitteren N?chten nach seiner Liebe, und der Schmerz aller Erniedrigungen war nichts gegen die Qual jenes oft getr?umten Traums, da ich ihn in Pulverdampf geh?llt, seinem Bataillon voraussprengend in die Luft greifen und fallen sah!
Wohin sollte meine kleine Seele mit den hin und her gerissenen Gef?hlen? Der Vater winkte einen Kellner heran! ,,Wo ist hier die Schiessst?tte?" Der Mann gab Auskunft.
Das v?terliche Auge sah mich scharf an. ,,Wir werden jetzt etwas N?tzliches tun! Ich will sehen, ob du zum Pl?nkler taugst." Ich war aus dem Himmel meiner Z?rtlichkeit geworfen und sogleich kehrte der bittere Geschmack zur?ck.
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