Read Ebook: Aus Indien by Hesse Hermann
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Ebook has 405 lines and 41619 words, and 9 pages
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Aus Indien
von Hermann Hesse
Alle Rechte, insbesondere das der ?bersetzung, vorbehalten. Copyright 1913 S. Fischer, Verlag, Berlin.
Aufzeichnungen von einer indischen Reise
Inhaltsverzeichnis
Nachts im Suezkanal 9 Abend in Asien 14 Spazierenfahren 20 Augenlust 25 Der Hanswurst 33 Architektur 35 Singapur-Traum 40 ?berfahrt 50 Pelaiang 54 Sozieteit 60 Nacht auf Deck 64 Waldnacht 70 Palembang 77 Wasserm?rchen 83 Die Gr?ber von Palembang 86 Maras 90 Spaziergang in Kandy 96 Tagebuchblatt aus Kandy 102 Pedrotallagalla 108 R?ckreise 112 Reisende Asiaten 119 Gedichte 123 Gegen?ber von Afrika 125 Abend auf dem Roten Meer 126 Ankunft in Ceylon 127 Nachts in der Kabine 128 Fluss im Urwald 129 Kein Trost 131 Nachtfest der Chinesen in Singapur 132 Im malayischen Archipel 133 Bei Nacht 134 Pelaiang 135 Vor Colombo 136 Robert Aghion 137
Nachts im Suezkanal
Seit zwei Stunden wird das Schiff von Moskitos bel?stigt; es ist sehr warm, und die heitere Stimmung vom Mittelmeer hat sich erstaunlich rasch verloren. Viele f?rchten sich einfach vor der ber?chtigten Hitze im Roten Meer, die meisten aber kehren von kurzen Ferien und Besuchen in der Heimat zur?ck oder reisen zum ersten Male aus, und f?r sie alle beginnt jetzt erst die Heimat unterzusinken, und mit der W?rme, dem Sand, den fr?hen Sonnenaufg?ngen und den Moskitos ?berf?llt sie der Osten, den sie alle nicht lieben, obwohl und weil sie draussen ihr Geld verdienen. Nur im Restaurant der zweiten Klasse zechen ein paar junge Deutsche, die meisten Passagiere sind schon in den Kabinen. Der ?gyptische Quarant?nebeamte, der unser Schiff seit Port Said begleitet, marschiert missmutig auf und ab.
Ich versuche zu schlafen. Ich lege mich in meiner winzigen Kabine aufs Bett, ?ber mir saust schnurrend der elektrische F?cher, im kleinen runden Fensterloch steht schwarzblau die heisse Nacht, knisternd singen die kleinen Stechm?cken. Seit Genua war keine Nacht an Bord so still; seit Stunden kein Ger?usch als das leise Rollen eines Eisenbahnzuges von Kairo, der auf dem langen ?den Damm auftauchte, in gespenstischer Nachbarschaft vor?berschnob und wunderlich im R?hricht der weiten kahlen Landschaft verschwand.
Noch ehe der Schlummer kommt, schreckt mich das pl?tzliche Verstummen der Maschine auf. Wir liegen still. Ich kleide mich an und gehe aufs Oberdeck. Ringsum eine unerh?rte Stille, vom Sinai her kommt der abnehmende Mond, bleiche Sandhaufen schauen im vor?bergleitenden Blick entfernter Scheinwerfer tot und glanzlos auf, im unendlichen schwarzen Wasserstreifen blinken grelle giftige Reflexe, unterm schweren matten Mond zucken hundert Seen, S?mpfe, Lachen, Binsenteiche gelb und lieblos aus der traurigen Ebene. Unser Schiff f?hrt nicht mehr, kein Ruf oder Pfiff, es liegt regungslos, verzaubert, aber voll tr?stender Wirklichkeit in der W?ste.
Auf dem Hinterdeck treffe ich einen kleinen, eleganten Chinesen aus Schanghai. Er lehnt aufrecht an der Br?stung und verfolgt die Scheinwerfer mit seinen dunklen, klugen Augen, und er l?chelt dazu so h?bsch wie immer. Er kann das ganze Shi-King auswendig, er hat alle chinesischen Examina gemacht und jetzt auch noch einige englische, er spricht ?ber das Mondlicht ?ber dem Wasser zart und nett in gel?ufigem Englisch und macht mir Komplimente ?ber die sch?nen Landschaften Deutschlands und der Schweiz. Es f?llt ihm nie ein, China zu r?hmen, aber wenn er Lobendes ?ber Europa zu sagen hat, klingt es bei aller H?flichkeit so ?berlegen, wie wenn der grosse Bruder nett ist und dem kleineren zu seinen starken Armen gratuliert. Wir wissen alle, dass in China gerade in diesen Tagen die grosse Revolution neu beginnt, die vielleicht dem Kaiser den Kopf kosten wird, und unser kleiner feiner Mann aus Schanghai weiss sicher weit mehr als wir und ist vielleicht gar nicht zuf?llig gerade jetzt unterwegs. Aber er ist still und arglos wie ein Berggipfel in der Sonne und strahlt in seiner h?flich verschanzten Heiterkeit alle irgend unbequemen Fragen mit einer gewinnenden Sonnigkeit zur?ck, die uns alle verwirrt und mich entz?ckt.
Am Ufer erscheint ein lichter kleiner Fleck. Es ist ein weisser Hund, er l?uft eine kleine Strecke weit den Strand entlang, streckt den mageren Hals lang aus und schaut zu uns her?ber. Aber er bellt nicht. Er schaut eine Weile scheu und still her?ber, riecht am tr?ben Wasser und trabt lautlos davon, immer der schnurgeraden Uferlinie nach.
Der Chinese redet von den europ?ischen Sprachen, er r?hmt die Bequemlichkeit des Englischen und den Wohllaut des Franz?sischen, er bedauert entschuldigend, dass er nur ganz wenig Deutsch und gar kein Italienisch gelernt hat. Er l?chelt dazu lieb und wohlgestimmt und folgt mit den feuchten, klugen Augen den Bewegungen der Schiffslichter.
Unterdessen fahren zwei grosse Dampfer langsam und unendlich behutsam an uns vor?ber. Unser Schiff ist am Ufer angebunden. Der grosse Kanal ist kostbar und gebrechlich und wird wie Gold geschont.
Ein englischer Beamter aus Ceylon tritt zu uns. Wir stehen lange und sehen ins tote Wasser, der Mond beginnt schon wieder zu sinken. Ich habe das Gef?hl, ich sei seit Jahren von der Heimat fort. Nichts spricht zu mir, nichts ist mir nah und lieb, nichts tr?stet mich als unser gutes Schiff. Die paar Bretter und Klammern und Lichter sind alles, was ich habe, und es macht mich unruhig, nach so viel Tagen pl?tzlich den vertrauten Herzschlag der Maschine nimmer zu h?ren und zu sp?ren.
Der Chinese redet mit dem englischen Beamten ?ber Gummipreise, und ich h?re immer wieder das Wort Rubber, das ich vor zehn Tagen noch nicht kannte und das mir jetzt so gel?ufig ist, das beherrschende Wort des Ostens. Er redet sachlich, h?bsch und h?flich, und er l?chelt immerzu im fahlen elektrischen Licht, wie ein Buddha.
Der Mond hat seinen kleinen Bogen beschrieben, er neigt sich und versinkt hinter den grauen Schutthalden, und mit ihm versinken die hundert k?hlen, ?belwollenden Blinklichter der S?mpfe und Seen, die Nacht steht dick und schwarz, scharf durchschnitten von den Lichtbahnen der Scheinwerfer, die ebenso unheimlich und lautlos und unendlich geradlinig sind wie der furchtbare Kanal selber.
Abend in Asien
Abends Ankunft in Penang. Im Eastern and Oriental Hotel ward mir eine f?rstliche Wohnung von vier R?umen angewiesen, vor der Veranda klatschte das braungr?ne Meer an die Mauer, und im roten Sande standen gross und ehrw?rdig die abendlichen B?ume. Die rotbraunen und gelben Segel vieler Dschunken, gebaut wie starksehnige Drachenfl?gel, leuchteten im letzten Tageslicht, dahinter der weisse Sandstreifen des Penangstrandes, die blauen siamesischen Berge und alle die winzigen, dick bewaldeten Koralleninselchen der wundervollen Bucht.
Nach Wochen eines unbequemen Wohnens in der be?ngstigend schmalen Schiffskabine genoss ich vor allem eine gute Stunde lang die Weite meiner R?ume; ich probierte die ausschweifend bequemen Liegest?hle des luftigen Vorzimmers, wo alsbald ein kleiner Chinese mit Philosophenaugen und Diplomatenh?nden lautlos Tee und Bananen auftrug, ich badete im Baderaum und wusch mich im Ankleidezimmer. Dann kostete ich im h?bschen Speisesaal bei ganz guter Tafelmusik zum erstenmal mit leiser Entt?uschung das ?ble Essen eines englisch-indischen Hotels. Inzwischen war eine tiefe, schwarze Nacht ohne Sterne heraufgekommen, die grossen unbekannten B?ume rauschten wohlig im lauen, schweren Winde, und grosse unbekannte K?fer, Zikaden und Hummeln sangen, schwirrten und schrien ?berall heftig mit den scharfen eigenwilligen Stimmen junger V?gel.
Ohne Hut und in leichten Schlafschuhen trat ich auf die breite Strasse hinaus, rief einen Rikschamann heran, stieg mit frohem Abenteuergef?hl in den leichten Wagen und sprach mit Kaltbl?tigkeit meine ersten malayischen Worte, welche der flinke, starke Kuli so wenig verstand wie ich die seinen. Er tat, was jeder Rikschamann in diesem Falle tut, er l?chelte mir mit seinem guten, kindlich bodenlosen Asiatenl?cheln herzlich zu, wendete sich um und lief in frohem Trab davon.
Und nun erreichten wir die innere Stadt, und Gasse f?r Gasse, Platz f?r Platz, Haus f?r Haus gl?hte in einem erstaunlichen, unersch?pflichen, intensiven und doch wenig ger?uschvollen Leben. ?berall Chinesen, die heimlichen Herrscher des Ostens, ?berall chinesische L?den, chinesische Schaubuden, chinesische Handwerker, chinesische Hotels und Klubs, chinesische Teeh?user und Freudenh?user. Dazwischen je und je eine Gasse voll Malayen oder Klings, weisse Turbane auf dunkelb?rtigen K?pfen, blanke, bronzene M?nnerschultern und stille, ganz mit Goldschmuck beh?ngte Frauengesichter rasch von einer Fackel beleuchtet, lachend oder aufheulend dunkelbraune Kinder mit dicken B?uchen und wundersch?nen Augen.
Hier gibt es keinen Sonntag, hier gibt es keine Nacht; ohne Ende und ohne sichtbare Pause geht die gelassene, gleichm?ssige Arbeit weiter, nirgends nerv?s und ?bertrieben, ?berall fleissig und heiter. Klug und geduldig kauert auf hohem Brett der kleine Strassenh?ndler ?ber seiner Bude, still und w?rdevoll arbeitet am Rande der brausenden Strasse der Barbier, zwanzig Arbeiter klopfen und n?hen in der Werkstatt eines Schuhmachers, freundlich breitet ein mohammedanischer Kaufmann auf niederen, breiten Ladentischen seine sch?nen T?cher aus, die aber fast alle aus Europa stammen. Japanische Dirnen sitzen kauernd am Steinrand der Gosse und girren wie fette Tauben, aus chinesischen Freudenh?usern gl?nzt golden der wohlbestellte steife Hausaltar, hoch ?ber der Strasse in offenen Veranden hocken alte Chinesen mit k?hlen Geb?rden und heissen Augen beim aufregenden Gl?cksspiel, andre liegen und ruhen oder rauchen und h?ren der Musik zu, der feinen, rhythmisch unendlich komplizierten und exakten chinesischen Musik. K?che sieden und braten auf der Gasse, Hungrige speisen an langen Brettertischen gesellig und feinschmeckerisch und sicher f?r zehn Cents nicht schlechter, als ich im Gasthaus f?r drei Dollar gegessen habe, Fruchth?ndler bieten unbekannte Fr?chte an, phantastische Erfindungen einer m?ssigen, ?berreichen Vegetation, kleine Buden haben ihre ?rmlichen G?ter, eine Handvoll getrocknete Fische oder drei H?uflein Betel, sorgsam mit Kerzen beleuchtet. Hier wandeln im verschwenderischen Licht, das namentlich der Chinese liebt, unver?ndert alle Gestalten der ?stlichen M?rchen, nur die K?nige, Wesire und Henker sind zum Teil verschwunden, gleichwie vor Jahrhunderten arbeitet der geschickte Barbier, tanzt die geschminkte Dirne, l?chelt ergeben der Diener und blickt stolz der Herr, wie immer kauern wartend die Tr?ger und Arbeitsuchenden, kauen Betel und erz?hlen einander Geschichten.
Ich besuchte ein chinesisches Theater. Da sassen still und rauchend die M?nner, still und teeschl?rfend die Frauen, vor ihrer hohen Empore turnte gef?hrlich auf schwankem Brett der Teeschenk mit m?chtigem Kupferkessel. Auf der ger?umigen B?hne sass eine Schar Musikanten, das Drama begleitend und seinen Takt kunstvoll betonend; auf jeden betonten Schritt des Helden fiel ein betonter Schlag der weicht?nenden Holztrommel. Es wurde in alten Kost?men ein altes St?ck gespielt, von dem ich wenig verstand und nicht ein Zehntel sah, denn das St?ck ist lang und wird durch Tage und N?chte fortgespielt. Da war alles gemessen, studiert, nach alten heiligen Gesetzen geordnet und in rhythmischem Zeremoniell stilisiert, jede Geb?rde exakt und mit ruhiger Andacht ausgef?hrt, jede Bewegung vorgeschrieben und voll Sinn, studiert und von der ausdrucksvollen Musik gef?hrt. Es gibt in Europa kein einziges Opernhaus, in dem Musik und Bewegungen des B?hnenbildes so tadellos, so exakt und gl?nzend harmonisch miteinandergehen wie hier in dieser Bretterbude. Eine sch?ne, einfache Melodie kehrte h?ufig wieder, eine kurze, monotone Weise in Moll, die ich mir trotz aller Bem?hungen nicht einpr?gen konnte und die ich sp?ter tausendmal wieder h?rte, denn es war gar nicht, wie ich meinte, stets dieselbe Tonfolge, sondern es war die chinesische Grundmelodie, deren zahllose Variationen wir zum Teil kaum wahrnehmen k?nnen, da die chinesische Tonleiter viel kleiner differenzierende T?ne hat als unsre. Was uns dabei st?rt, ist der allzu reichliche Gebrauch von Pauke und Gong; im ?brigen ist diese Musik so fein und klingt abends von der Veranda eines festlichen Hauses so lebensfroh und oft so leidenschaftlich, lustbegierig, wie nur irgendeine gute Musik bei uns daheim es tun kann. Im ganzen Theater war ausser der primitiven elektrischen Beleuchtung nichts Europ?isches und Fremdes; eine alte, durch und durch stilisierte Kunst schwang ihre alten, heiligen Kreise weiter.
Leider liess ich mich verf?hren, danach auch noch ein malayisches Theater zu besuchen. Da prangten grelle, wahnsinnige Kulissen von grotesker H?sslichkeit, von dem Chinesen Chek May in wohlgegl?ckter Spekulation auf die Affeninstinkte der Malayen gemalt, eine Parodie auf alle Entgleisungen europ?ischer Kunst, das ganze Theater von einer beiselhaften Drolligkeit und Hoffnungslosigkeit, die nach kurzem, krampfhaftem Lachvergn?gen unertr?glich wird. In ?blen Kost?men spielten, sangen und tanzten malayische Mimen in varieteehafter Weise die Geschichte von Ali Baba. Hier wie sp?ter ?berall sah ich die armen Malayen, liebe, schwache Kinder, rettungslos an die b?sesten europ?ischen Einfl?sse verloren. Sie spielten und sangen mit oberfl?chlicher Geschicklichkeit, neapolitanerhaft heftig und manchmal improvisierend, und dazu spielte eine moderne Harmoniummaschine.
Als ich sp?t die innere Stadt verliess, klangen und gl?hten hinter mir die Gassen weiter, noch die halbe Nacht hindurch, und im Hotel liess ein Engl?nder zu einsamem Nachtvergn?gen ein Grammophon oberbayerische Jodlerquartette spielen.
Spazierenfahren
Nichts Sch?neres als bei gutem Wetter in Singapur spazieren zu fahren! Man nimmt ein Rikschaw?gelchen, setzt sich hinein und hat nun ausser der ?brigen Aussicht immerzu den beruhigenden Blick auf den R?cken des ziehenden Kuli, der im Takt seines wiegenden Trabes auf- und niederh?pft. Es ist ein nackter, goldig gelbbrauner Chinesenr?cken und darunter ein Paar nackte, starke, athletisch ausgebildete Beine von derselben Farbe, dazwischen eine verwaschene Badehose aus blauem Leinen, deren Farbe mit dem gelben K?rper und der braunen Strasse und mit der ganzen Stadt und Luft und Welt ganz delikat zusammenklingt. Dass auch die meisten Strassenbilder delikat und harmonisch aussehen, daf?r m?ssen wir ebenfalls den Chinesen dankbar sein, die sich zu kleiden und zu tragen verstehen und deren hunderttausendk?pfiges Gewimmel in Blau, Weiss und Schwarz die Gassen f?llt. Dazwischen schreiten stolz und heldenhaft mit schwarzbraunen, hageren Gliedern und asketischen Augen hochgewachsene Tamilen und andere Indier, deren jeder auf den ersten Blick wie ein entthronter Radscha aussieht, die aber allesamt, nicht besser als die Malayen, mit negerhafter Hilflosigkeit auf jeden Importartikel hereinfallen und sich kleiden wie Dienstm?gde am Sonntag. Man sieht da wundersch?ne, dunkle, nobel blickende Menschen genau in denselben schreienden, grellen, schonungslos farbigen Kost?men einhergehen, wie sie etwa auf heimatlichen Maskenb?llen von jungen phantasievollen Ladengehilfen getragen werden - wahre Karikaturen von Trachten! Die klugen Kaufleute aus unserem Westen haben die indischen Seiden und Leinen entbehrlich gemacht, sie f?rbten Baumwolle und druckten Kattune viel greller, viel indischer, jubelnder, wilder, giftiger, als sie je in Asien gesehen worden waren, und der gute Indier samt dem Malayen ist ein dankbarer Kunde geworden und tr?gt um seine bronzenen H?ften die billigen, farbengrellen Stoffe aus Europa. Zehn solche indische Figuren gen?gen, um eine belebte Strasse farbig unruhig zu machen und in ein St?ck unechten ,,Orient" zu verwandeln. Aber sie kommen hier nicht auf, sie m?gen noch so k?niglich schreiten und noch so papageienhaft leuchten, sie werden umschlossen und erstickt und still zugedeckt von dem diskreten gelben Volk aus China, das in hundert Strassen dicht und fleissig haust und wimmelt, von der uniformen, ameisenartigen Menge der Chinesen, von denen keiner in Farben schwelgen und seine Person zum K?nig oder Hanswurst herausputzen will, deren unendlicher Schwarm in Blau, Schwarz und Weiss die ganze Stadt Singapur erf?llt und beherrscht.
Den Chinesen verdanken wir auch die langen, ruhigen, wohltuend gleichm?ssigen Strassenz?ge, wo Haus an Haus blau und bescheiden in der blauen stillen Reihe steht und jedes das andere h?lt und gelten l?sst und hebt, mindestens so fein und diskret wie in Paris. Den Engl?ndern aber verdanken wir die breiten, sch?nen, reinen, bequemen Wege, die anmutvollen Gartenvorst?dte und die herrlichen Baumpflanzungen, die vielleicht das Sch?nste von ganz Singapur sind.
Da ist gleich vorn am Meere, mitten zwischen den protzigen Geb?uden und weiten, sch?nen Sportpl?tzen, die mittags so leer und kahl und unwahrscheinlich gross in der unbarmherzigen Sonne gl?hen, die m?chtige Esplanade, eine f?rstlich breite Allee von alten, herrlichen B?umen, eine immer k?hle, immer schattige, ehrw?rdige Riesenhalle aus Laub und ?sten. Hier ist es sch?n am fr?hen Vormittag zu fahren, wenn ?ber dem gl?nzenden Meer und ?ber den ungez?hlten Schiffen und Segeln und schaukelnden Booten die heftige Sonne schr?g herabbrennt und hinter Meer und Schiffen und Inseln den ganzen Horizont entlang phantastisch in Form von T?rmen und riesigen B?umen die steilen, weissen Morgenwolken stehen. Und es ist sch?n am Mittag, wenn ringsum alles in der Hitze kocht und br?tet. Da ist die Einfahrt aus der blendenden Glut in diese dunkle Baumk?hle nicht anders als der Schritt von einem sommermitt?glichen Marktplatz in einen heilig k?hlen Dom mit dunkeln Gew?lben. Am Abend aber ist das schr?g einfallende Licht voll Gold und W?rme, vom Meer weht frisch der duftende Wind, aufatmende Menschen fahren vergn?gt in weissen Kleidern spazieren und spielen Ballspiele auf gr?nen, flachen Pl?tzen, deren Rasen im Abendlicht edelsteingr?n leuchtet. Und nachts, da f?hrt man in die Esplanade ein wie in eine Zauberh?hle, in den kleinen L?cken zwischen den Baumkronen h?ngen gr?nfunkelnd die Sterne, im selben k?hlen Feuer schimmern die Schw?rme der Leuchtk?fer, und auf dem Meere schwimmt mit tausend roten Augen die geheimnisvolle Lichterstadt der Schiffe.
Ohne Ende sind die Gartenstrassen der ?ussern Stadt. Da f?hrst du auf glatten, feinen, ?usserst gepflegten Wegen immerzu, und ?berall zweigen stille Wege ab und f?hren durch gr?ne reiche Baumg?rten zu stillen, luftigen Landh?usern, deren jedes Heimweh weckt und Gl?ck zu hegen scheint, und ?ber dir und um dich her atmet ruhig und lebendig die wunderbare Baumlandschaft, stundenlang, ein Park ohne Ende, mit B?umen, die an Eichen und an Buchen, an Birken und an Eschen erinnern, die aber alle ein wenig ausl?ndisch und m?rchenhaft schauen und gr?sser, h?her, ?ppiger sind als unsere B?ume.
Pl?tzlich sind wieder H?user da, man f?hrt an Werkst?tten, L?den und ernsthaftem Chinesenbienenleben vor?ber, vergoldetes Porzellan und hellgelbe Messingwaren gl?nzen in Schaufenstern, fette indische H?ndler sitzen auf niederen Ladentischen zwischen Haufen von Seidenstoffen oder lehnen neben Schaukasten voll Diamanten und gr?nen Jettsteinen. Das heftige Strassenleben erinnert wohlig an italienische St?dte, entbehrt aber v?llig des wahnsinnigen Gebr?lls, mit dem in Italien jeder Streichh?lzerbub seine Bagatelle ausschreit.
Wieder kommen niedere H?user, B?ume dazwischen, halbl?ndliche Vorstadtluft, und pl?tzlich ist man unter Kokospalmen. Niedere H?tten, mit Palmbl?ttern gedeckt, Ziegen, nackte Kinder, ein Malayendorf und, soweit der Blick reicht, tausend und wieder tausend Palmen streng und kahl, darunter flimmernd das weisslichgr?ne Tageslicht.
Und kaum hat das Auge sich angepasst und kaum hat das Bewusstsein mit Genuss den heftigen Kontrast zwischen geradlinig stilisierter Palmenwelt und laubig weicher, wirrer Parklandschaft verzeichnet, da geht alles wankend auseinander, erschrocken f?llt der Blick in eine ungeheure Weite, man ist am Meere, an einem ganz neuen, stilleren und weiten Meere mit flachem Palmenstrand und wenig Booten, und hinten im Bogen liegt mit blauen H?gelsilhouetten Insel an Insel, alles ?berragt und klein gemacht durch die grosse Form eines chinesischen Segels, das mit hundert feinen Rippen wie ein Drachenfl?gel in den Himmel sticht.
Augenlust
Wenn aus der Flasche, die mein Boy eben ?ffnet, ein turmhoher Ifrit emporrauchte und mir die Erf?llung dreier W?nsche gew?hrte, so w?rde ich ohne Besinnen sagen: Gesund sein, eine sch?ne, junge Geliebte bei mir haben und ?ber zehntausend Dollar verf?gen.
Alsdann w?rde ich eine Rikscha nehmen und einen Extra-Rikscha-Kuli f?r die Pakete und w?rde in die Stadt fahren, die ersten paar tausend Dollar lose in der Tasche. Ich w?rde nicht auf die bettelnden Kinder h?ren, die sich zum Entsetzen meiner Sch?nen mit dem leidenschaftlichen Ausruf: ,,O father, my father!" um mich dr?ngen. Dem kleinen elfj?hrigen Chinesenm?dchen hingegen, das t?glich vor den Hotels seinen fliegenden Handel mit Spielsachen betreibt, w?rde ich einen Dollar schenken. Sie ist, wie gesagt, elf Jahre alt, und ihr Wuchs und Aussehen ist noch weit kindlicher und minderj?hriger; dennoch geht sie ihrem Strassenhandel schon seit sechs Jahren nach. Sie hat mir das selbst erz?hlt, doch w?rde ich es nicht weiterberichten, wenn nicht ein alter Singapurer es mir best?tigt h?tte. Das kleine, schm?chtige M?del hat das s?sse Kindergesicht, das h?bsche Chinesen oft bis zum Alter bewahren, aber sie hat gescheite, k?hle Augen und ist vielleicht das hoffnungsvollste und smarteste Chinesenkind von Singapur, was sie auch sein muss, denn es leben seit Jahren f?nf Personen von ihrer Arbeit, und ihre Mutter geht, so oft sie kann, Sonntags zum Spielen nach Johore. Die Kleine tr?gt einen wundervollen Zopf, schwarze, weite Hosen und eine verschossene blaue Bluse, und es wird dem ?ltesten ?berseer nicht gelingen, sie beim Feilschen und Scherzen einen Augenblick in Verlegenheit zu bringen. Leider hat sie noch sehr wenig Kapital und noch keine Markt?bersicht, aber das wird kommen, und vielleicht ist es auch reine Klugheit von ihr, dass sie gerade mit Kinderspielsachen handelt, so lange ihr leichtes Kinderfig?rchen und ihr glattes Kindergesicht diesen Handel suggestiv unterst?tzen. Sp?ter wird sie mit Gegenst?nden handeln, die wohlhabende junge Herren brauchen, dann wird sie heiraten und ihr Gesch?ft in Porzellan, Bronzen und Altert?mern machen, und schliesslich wird sie nur noch spekulieren und Geld verleihen und die H?lfte ihres Verm?gens in ein wahnsinnig luxuri?ses Privathaus verbauen, wo in viel zu vielen Zimmern viel zu viele Lampen brennen und wo der riesige Hausaltar von Gold funkeln wird.
Sie soll also ihren Dollar haben, und nachdem sie ihn ohne Erstaunen und ohne vielen Dank eingesteckt h?tte, w?rden wir gegen die High Street hin fahren. Erst w?rde ich noch in einer Seitenstrasse beim besten Rottangflechter halten lassen und f?r mich und meine Liebste je einige Liegest?hle bestellen, die beste Arbeit aus dem fehlerlosesten und biegsamsten Material, jeder Stuhl unsern K?rpermassen bequem angepasst und mit einem kleinen Teegestell, einem kleinen B?cherk?stchen, einem Zigarettenbeh?lter und spasseshalber mit einem sch?nen, feingeflochtenen Vogelk?fig versehen.
In der High Street w?rden wir zuerst bei einem indischen Juwelier vorfahren. Diese Leute haben zuviel Verbindung mit Europa und verstehen selten mehr, ihre Sachen so naiv und edel zu fassen wie fr?her, sie arbeiten nach englischen und franz?sischen Dessins und beziehen aus Idar und Pforzheim, aber ihre Steine sind meistens sch?n, und mit Geduld und Sorgfalt w?rde ich sicher sein, mindestens ein edles, goldenes Armband mit Rubinen und eine d?nne, zarte Halskette mit bleichen, bl?ulichen Mondsteinen zu finden. Zeit h?tten wir ja genug, und die H?ndler m?gen in Asien sein wie sie wollen, jedenfalls ist ihre Zeit und Geduld und H?flichkeit unermessen, und du kannst ruhig zwei Stunden lang einen Laden besehen und nach allen Waren und Preisen fragen, ohne etwas zu kaufen.
Lachend w?rden wir dann einen chinesischen Laden betreten, wo vorn Blechkoffer und Zahnb?rsten, im n?chsten Raum Spiel- und Papiersachen, im n?chsten Bronzen und Elfenbeinschnitzereien und im hintersten alte G?tter und Vasen zu haben sind. Hier dringt der europ?ische Operettenstil nur bis in die Mitte des Ladens, weiter hinten gibt es wohl noch Imitationen und F?lschungen, aber die Formen sind echt, und sie dr?cken alles aus, was ein Chinese f?hlen kann, von der eisigsten W?rde bis zum tollen Vergn?gen an wildester Groteskerie. Hier w?rden wir einen eisernen Elefanten mit erhobenem R?ssel kaufen, zwei oder drei alte Porzellanteller mit gr?n und blauen Drachen oder Pfauen und ein altes Teeservice, rotbraun und golden, mit Familien- und Kriegerszenen der alten Zeit.
Dann w?rden wir in einen von den japanischen L?den gehen. Der Schwindel ist hier am gr?ssten, und wir kaufen weder Silber noch Porzellan, weder Bilder noch Holzschnitte, aber eine Menge kleiner spielerischer Sachen ohne Wert: kaprizi?se F?cher aus d?nnstem Holz, kleine duftende Holzschachteln mit h?bschen eingelegten Verzierungen, die nur durch einen geheimen Fingerdruck zu ?ffnen sind, und h?lzerne und beinerne Geduldspiele von raffiniert erfinderischer Zusammensetzung, Kugeln, die beim Anfassen in dreissig Teile zerfallen und mit deren Wiederherstellung man eine Ferienwoche hinbringen kann, und kleine Figuren von Menschen und Tieren, die hier f?r f?nfzig Cents zu haben sind und die alle deutschen Kunstgewerbler zusammen nicht so einfach und ausdrucksvoll fertig bringen w?rden.
Nun aber k?men die javanischen und die Tamilgesch?fte an die Reihe. Alte Battik-Sarongs mit Mustern von V?geln und Bl?ttern, Schnecken und Dreiecken, Sarongs aus reichem, schwerem Goldbrokat vom S?den Sumatras, satt leuchtend wie Sonnenunterg?nge, und Kopft?cher und Sch?rpen aus chinesischer und indischer Seide, viel Goldgelb und Rotbraun und Currygr?n, und kleine steife Frauenschuhe, nadelspitz und gew?lbt wie eine japanische Holzbr?cke, mit Silber und Perlen gestickt. Und f?r mich selber will ich einen gr?nen Sarong und braune Saronghosen haben, dazu eine gr?ne Samtm?tze und eine luftig d?nne Schlaf- und Morgenjacke aus gelber Seide. Dann k?men die Spitzen dran, von denen ich nichts verstehe und die darum am meisten kosten, und dann die sch?nen Elfenbeinschnitzereien: Elefanten und Tempel, Buddhas und G?tzen, Jackenkn?pfe und Stockgriffe, auch ganze Elefantenz?hne und W?rfel und Spielzeug, Fig?rchen und Dosen.
Nicht vergessen d?rften wir, auch ins Chinesenviertel hin?berzufahren und weit draussen in der North Bridge Road auszusteigen, wo Laden an Laden die Gesch?fte der Tr?dler und Antiquit?tenh?ndler stehen. Da sind neben Stiefeln und silbernen Matrosentaschenuhren, neben abgelegten Herrenkleidern und messingenen Tabakspfeifen sch?ne, alte bronzene Schalen und Vasen zu finden, manchmal auch altes Porzellan, wenn man Zeit und Geduld hat. Auf alle F?lle aber h?ngen und liegen dort in Glaskasten, geheimnisvoll im d?steren Ladenwinkel gl?hend, die sch?nsten chinesischen Schmucksachen: einfache alte Fingerringe aus Gold oder Silber mit einfach und sch?n gefassten Steinen oder Perlen, d?nne, lange Goldketten jeder Art, alles aus dem chinesischen hellgelben, freudig heiteren Gold, und dickere Ketten, an denen ein gelbgoldener Fisch h?ngt, ein grotesker schw?nzelnder Fisch mit tausend zarten Schuppen und mit vorstehenden, glotzenden Augen aus Opalen, Armb?nder aus Gold oder aus milchig-hellgr?nem Jettstein, jedes Band aus einem St?ck geschnitten, Broschen aus alten chinesischen Goldm?nzen, alles ein wenig verblasst und antiquiert und alles von derselben wunderbar exakten, kaprizi?s-spielerischen Arbeit. Das gem?nzte Geld gilt hier wie bei allen naiven V?lkern unbedingt als schm?ckendes Wertst?ck; die Schwarzw?lder Bauern trugen und tragen da und dort heute noch Silbertaler als Jackenkn?pfe, zum selben Zweck werden alte silberne Tikals in Siam verwendet, ich selbst trage solche Tikalkn?pfe an meiner weissen Jacke; chinesische und siamesische Goldm?nzen mit den sch?nen, dekorativen Schriftzeichen sieht man ?berall als Broschen und Manschettenkn?pfe, und hier in einem Laden sah ich einmal eine ganze Kollektion von modernen billigen Broschen, die alle aus Geldm?nzen der verschiedensten L?nder gemacht waren; darunter war auch eine mit einem alten deutschen Zwanzigpfennigst?ck, mit einem jener d?nnen, winzigen Silberst?ckchen, die l?ngst abgeschafft und verschwunden sind.
Und wenn ich das alles gekauft h?tte und ruiniert w?re und meine Geliebte mich verlassen h?tte, dann w?rde ich immer noch zuweilen durch die Ladenstrassen gehen. Ich w?rde vor den Auslagen stehen und durch die Schaufenster blicken, w?rde an feinen H?lzern riechen, zarte Gewebe betasten und meine Geschicklichkeit an den hunderterlei Geduldspielen und Schnurrpfeifereien ?ben, und ich h?tte dabei die Augenlust, die der Osten bietet und auf die er ganz allein gestellt ist. Alles, was man um Geld haben kann, ist hier in Asien zweifelhaft, vom Bett bis zum Essen, vom Diener bis zum Geldwechseln, aber ringsum gl?nzt unersch?pft der Reichtum und die Kunst Asiens, von allen Seiten her bedr?ngt, bestohlen, unterh?hlt und vergewaltigt, vielleicht schon arg geschw?cht und vielleicht schon im Todeskampf, aber auch so noch reicher und vielf?ltiger, als wir im Westen es uns tr?umen k?nnen. ?berall liegen Sch?tze zur Schau, und alle geh?ren dem, der seine Augenlust daran zu finden weiss, denn ob ich f?r hundert Dollar einkaufe oder f?r zehntausend, ich bekomme f?r alles Geld doch nur das h?bsche einzelne, das vielleicht bald entt?uscht, und vom Bild der geh?uften Sch?tze, von dem grossen, bunten asiatischen Basarglanz kann ich nichts mit nach Westen nehmen als einen Abglanz im Ged?chtnis. Ob ich sp?ter zu Hause eine Kiste voll chinesischer und indischer Sachen auspacke oder zehn Kisten, das ist, als ob ich vom Meere eine oder zwanzig Flaschen voll Wasser mitbr?chte. Br?chte ich auch hundert Tonnen heim, es w?re doch kein Meer.
Der Hanswurst
In Singapur besuchte ich wieder einmal ein malayisches Theater. Ich tat es l?ngst nicht mehr in der Hoffnung, hier etwas von Kunst und Volkstum der Malayen zu sehen oder sonst wertvolle Studien machen zu k?nnen, sondern lediglich in behaglicher Abendstimmung, wie man an einem m?ssigen Abend in einer fremden Seestadt nach dem Essen und Kaffee Lust bekommt, in ein Varietee zu gehen.
Die sehr geschickten Schauspieler, deren einer einen Europ?er zu spielen hatte, stellten eine moderne Ehegeschichte aus Batavia dar, die ein St?ckefabrikant auf Grund von Zeitungs- und Gerichtsnachrichten dramatisiert hatte. Die Gesangseinlagen mit Begleitung eines alten Klaviers, dreier Geigen, eines Basses, eines Horns und einer Klarinette waren von r?hrender Komik. Unter den Frauen eine wundersch?ne junge Malayin, wohl Javanin, mit hinreissend edelm Gang.
Das Merkw?rdige aber war eine magere junge Schauspielerin in der seltsamen Rolle eines weiblichen Hanswurst. Die sehr sensible, ?berintelligente, allen andern unendlich ?berlegene Frau stak in einem schwarzen Sack, trug ?ber ihrem schwarzen Haar eine fahlblonde scheussliche Wergper?cke und hatte das Gesicht mit Kalk beschmiert, auf der rechten Wange einen grossen schwarzen Klecks. In dieser toll h?sslichen Bettelmaske bewegte sich die nerv?s geschmeidige Person in einer Nebenrolle, die zum St?ck nur ?usserst fl?chtige Beziehungen hatte, und war doch best?ndig auf der B?hne; denn sie spielte den vulg?ren Hanswurst. Sie grinste und frass auf affenhafte Art Bananen, sie bel?stigte Mitspieler und Orchester, unterbrach die Handlung durch Witze oder begleitete sie stumm mit parodierender Nach?ffung; dann wieder sass sie zehn Minuten lang teilnahmlos auf dem Fussboden, hielt die Arme verschr?nkt und blickte mit gleichg?ltigen, krankhaft klugen, kalt ?berlegenen Augen ins Leere oder fixierte uns Zuschauer der vordersten Reihe mit k?hler Kritik. In dieser Abseitigkeit sah sie nicht mehr grotesk aus, eher tragisch, der schmale, brennend rote Mund teilnahmlos ruhend, vom vielen Lachen erm?det, die k?hlen Augen aus dem fratzenhaft bemalten Gesicht traurig, vereinsamt und erwartungslos blickend. Man h?tte mit ihr reden m?gen wie mit einem Shakespeareschen Narren oder wie mit Hamlet. Bis die Geb?rde irgendeines Mitspielers sie reizte - dann stand sie auf, von Leben durchflossen, und parodierte diese Geb?rde mit dem kleinsten Aufwande an Anstrengung in so hoffnungslos vernichtender ?bertreibung, dass die Mitspieler h?tten verzweifeln m?ssen.
Aber diese geniale Frau war nur Hanswurst: sie durfte nicht italienische Arien singen wie ihre Kolleginnen, sie trug das schwarze Kleid der Erniedrigung, und ihr Name stand weder auf dem englischen noch auf dem malayischen Theaterzettel.
Architektur
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