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Read Ebook: Aus Indien by Hesse Hermann

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Ebook has 405 lines and 41619 words, and 9 pages

Architektur

Grosse und pr?chtige Bauten sieht man in der malayischen Welt eigentlich nirgends; die paar F?rsten sind ziemlich bescheiden, und die Bev?lkerung hat nie das Bed?rfnis gekannt, sich in Bauorgien an Tempeln und anderen Kultusbauten auszutoben. Die buddhistischen und Hindutempel sind ohne viel Variationen von Vorderindien ?bernommen, die Moscheen sind ohne Originalit?t, von der meist ganz stillosen modernen Prachtmoschee bis zur kleinen, idyllischen mohammedanischen Dorfkirche, deren Turm aus vier unbehauenen Baumst?mmen besteht. Das Klima zerst?rt alles Menschenwerk hier sehr rasch, die Wohnungen sind nicht auf Stabilit?t und Dauer, sondern nur aus dem momentanen Bed?rfnis nach Schatten, K?hle und Regenschutz angelegt.

Der ebene Boden der malayischen L?nder ist grossenteils sumpfig und g?rt in Fieberluft; Schlangen und Raubtiere sind zu f?rchten; so ist heute wie vor viel tausend Jahren der Pfahlbau hier der herrschende H?usertyp. Der Fussboden ruht auf eingerammten oder auch einfach lebendig abges?gten Baumst?mmen anderthalb bis zweieinhalb Meter ?ber der Erde, mit ihr verbunden durch eine oder zwei leichte Holztreppen, die zum Schutz gegen Schlangen und anderes Getier m?glichst steil angelegt und manchmal m?hsam zu ersteigen sind. Der Fussboden besteht h?ufig aus Brettern, meistens aber nur aus einer losen Lage von Stangen, ist ?brigens in allen H?usern mit reinen, sch?nen Bastmatten belegt. Dar?ber ruht ein einfaches Giebeldach, dessen vordere Balken h?ufig wie beim nieders?chsischen Bauernhaus kreuzweise ?berstehen, das Dachgerippe aus Bambusst?ben ist mit Palmbl?ttern dicht belegt, leicht, k?hl und sehr wasserdicht. Ich habe mehrmals im Urwald bei rasenden Tropenregen nachts unter einem solchen Bl?tterdach gelegen, ohne nass zu werden. Neuerdings sieht man, auch schon auf dem Lande, viele Hohlziegeld?cher.

Das ist der Typ des hinterindischen Wohnhauses. An manchen Orten sind die D?cher nach chinesischer Art elegant geschweift und mit H?rnerschmuck versehen. Eine auffallende malayische Eigenart ist das Gliedern des Hauses und Bewerten der R?ume durch Niveauverschiebung, so dass vom Eingang her jeder Raum des Hauses um zwei, drei Handbreiten h?her liegt als der vorhergehende.

In den St?dten, soweit sie trockenen und gesunden Boden haben, f?llt der Pfahlunterbau weg; hier bestimmt der chinesische Typ das Strassenbild, das malayische Fischer- und Bauernhaus ist in die Vorst?dte verdr?ngt. Die Chinesenstrassen, alte wie neue, sind ohne Ausnahme zusammenh?ngende Reihen kleiner H?user von zwei, seltener drei Stockwerken; das Erdgeschoss ist Werkstatt oder Laden, das Obergeschoss sieht, wenn die Fensterl?den offenstehen, mit offenen, leicht vergitterten R?umen nach der Strasse und gibt ihr eine feine Luftigkeit, die Bauten sind farbig verputzt, meist heftig waschblau, was im starken Licht der Tropen k?hl und nobel aussieht. Die Vorderr?ume der Obergeschosse ruhen auf Pfeilern, und so entsteht auf beiden Seiten jeder Strassenflucht eine Kolonnade, fr?hlich anzusehen und voll von Bildern des kleinen Lebens. Der reiche Chinese freilich hat sein Landhaus im Villenquartier, luxuri?s und meist europ?isch beeinflusst, darum her ein stiller, steifer, sonniger Garten, wo jede Pflanze erh?ht und isoliert in einer Vase steht.

Die Europ?er haben nun alle St?dte ganz neu gestaltet und damit viel Hygiene und Bequemlichkeit, aber wenig Sch?nheit hereingebracht. Von allen Europ?erbauten hier draussen sind einzig die Bungalows sch?n, die in den Villenvorst?dten erquickend wohnlich und lieblich in der ?ppigen Parklandschaft stehen. Diese Bungalows sind darum sch?n, weil sie notgedrungen sich den Bed?rfnissen des Klimas f?gen und sich darum an den Urtyp des indischen Wohnhauses halten mussten. Alles andere, was die Weissen hier gebaut haben und bauen, w?re durchaus w?rdig, in einer deutschen Bahnhofstrasse aus den achtziger Jahren zu stehen. Die Engl?nder tun Grosses f?r ihre Kolonien, die Anlage vieler Gesch?ftsstrassen, H?fen, Villenviertel und Parkvorst?dte samt Strassenbau, Bew?sserung und Beleuchtung sind musterhaft und oft von gl?nzender Grossz?gigkeit, aber sch?ne H?user konnten auch sie nicht bauen. Und nun w?tet falscher Marmor, Wellblech und Gewerbeschulrenaissance weiter und verseucht auch die Modernen und Wohlhabenden unter den einheimischen Bauherren. Japanische Zahn?rzte und chinesische Wucherer bauen sich H?user, die in die geschmacklosesten Strassen deutscher Mittelst?dte passen w?rden. Entsprechend sind Br?cken, Brunnen und Denkm?ler. Das ?belste aber sind die Kirchen. Von einem feinen stillen Palmenwalde, von einer weitern h?bschen Malayendorfgasse oder von einer tiefblauen, diskret uniformen Chinesenstrasse aus auf eine Kirche zu blicken, die auf ?dem Platz in entwurzelter und entgleister englischer Gotik das kulturelle Unverm?gen des Westens predigt, das geh?rt weit mehr als Schmutz und Fieber zu den Peinlichkeiten einer indischen Reise; denn hier f?hlt man sich im Innersten mitverantwortlich. Und diese Dinge sind alle, gleich einem deutschen Postgeb?ude, ebenso solide wie h?sslich gemacht. Ein Malayenhaus, das gestern fertig wurde, wird in drei Monaten wetterfarben und angepasst und v?llig eingewachsen sein, als st?nde es f?nfzig Jahre da; ein holl?ndisches Residentenpalais aber, eine englische Kirche oder ein franz?sisch-katholisches Schulhaus wird unser Auge nicht erfreuen k?nnen, ehe es seine schuldbeladene Existenz zu Ende gelebt und seine Bestandteile der Natur zur?ckgegeben hat.

Singapur-Traum

Den Vormittag hatte ich zwischen den G?rten der Europ?er auf den grasbewachsenen, laubig umrahmten Wegen Schmetterlinge gefangen, war in der weissen Mittagsglut zu Fuss in die Stadt zur?ckgegangen und hatte den Nachmittag mit Spazierengehen, L?denbesuchen und Einkaufen in den sch?nen, lebendig wimmelnden Strassen von Singapur hingebracht. Nun sass ich im hohen S?ulensaal des Hotels mit meinen Reisegef?hrten beim Abendessen, die grossen Fl?gel der F?cher surrten fleissig in der H?he, die weissleinenen Chinesenboys schlichen still und gelassen durch den Saal und trugen das schlechte englisch-indische Essen auf, das elektrische Licht blitzte in den kleinen schwimmenden Eisst?ckchen der Whiskygl?ser. M?de und ohne Hunger sass ich meinen Freunden gegen?ber, schl?rfte kaltes Getr?nk, sch?lte kleine goldgelbe Bananen und rief fr?hzeitig nach Kaffee und Zigarren.

Die andern hatten beschlossen, in einen Kinematographen zu gehen, wozu meine von der Arbeit in voller Sonne ?berangestrengten Augen keine Lust hatten. Dennoch ging ich schliesslich mit, nur um f?r den Abend versorgt zu sein. Wir traten barhaupt und in leichten Abendschuhen vor das Hotel und schlenderten durch die wimmelnden Strassen in gek?hlter blauer Nachtluft; in ruhigem Seitengassen hockten bei Windlichtern an langen rohen Brettertischen Hunderte von chinesischen Kulis und assen vergn?gt und sittsam ihre vielerlei geheimnisvollen und komplizierten Speisen, die fast nichts kosten und voll unbekannter Gew?rze stecken. Getrocknete Fische und warmes Kokos?l dufteten intensiv durch die von tausend Kerzen flimmernde Nacht, Rufe und Schreie in dunkeln ?stlichen Sprachen hallten in den blauen Bogeng?ngen wider, geschminkte h?bsche Chinesinnen sassen vor leichten Gittert?ren, hinter denen reiche goldene Hausalt?re d?ster funkelten.

Von der dunkeln Brettertrib?ne des Kinotheaters blickten wir ?ber unz?hlige langzopfige Chinesenk?pfe hinweg auf das grelle Lichtviereck, wo eine Pariser Spielergeschichte, der Raub der Mona Lisa und Szenen aus Schillers Kabale und Liebe, alle in derselben seelenlosen Anschaulichkeit, vor?bergeisterten, doppelt gespensterhaft in der Atmosph?re von Unwirklichkeit oder peinlicher Zweifelhaftigkeit, welche diese westlichen Angelegenheiten hier zwischen Chinesen und Malayen annehmen.

Meine Aufmerksamkeit war bald erlahmt, mein Blick ruhte zerstreut in der D?mmerung des hohen Saales aus, und meine Gedanken fielen auseinander und blieben leblos liegen wie die Glieder einer Marionette, die man im Augenblick nicht braucht und weggelegt hat. Ich senkte den Kopf in die aufgest?tzten H?nde und war alsbald allen Launen meines denkm?den und mit Bildern ges?ttigten Gehirns preisgegeben.

Es umgab mich zun?chst eine schwach murmelnde D?mmerung, in der ich mich wohl f?hlte und ?ber welche nachzusinnen ich kein Verlangen trug. Allm?hlich begann ich zu merken, dass ich auf dem Deck eines Schiffes lag, es war Nacht, und nur wenige ?llaternen brannten, neben mir lagen viele andere Schl?fer Mann an Mann, jeder am Boden auf seiner Reisedecke oder Bastmatte hingestreckt.

Ein Mann, der mir zur Seite lag, schien nicht zu schlafen. Sein Gesicht war mir bekannt, ohne dass ich seinen Namen wusste. Er bewegte sich, st?tzte die Ellbogen auf, nahm eine goldene Brille ohne R?nder von den Augen und begann sie mit einem weichen, flanellenen T?chlein sorgf?ltig zu reinigen. Da erkannte ich ihn; es war mein Vater.

,,Wohin fahren wir?" fragte ich schl?frig.

Er putzte, ohne aufzublicken, an seiner Brille weiter und sagte ruhig: ,,Wir fahren nach Asien."

Wir redeten Malayisch, mit Englisch vermischt, und dieses Englisch erinnerte mich daran, dass meine Kindheit lang vor?ber sei, denn damals besprachen meine Eltern ihre Geheimnisse alle englisch, und ich verstand nichts davon.

,,Wir fahren nach Asien," wiederholte mein Vater, und pl?tzlich wusste ich alles wieder. Jawohl, wir fuhren nach Asien, und Asien war nicht ein Weltteil, sondern ein ganz bestimmter, doch geheimnisvoller Ort, irgendwo zwischen Indien und China. Von dort waren die V?lker und ihre Lehren und Religionen ausgegangen, dort waren die Wurzeln alles Menschenwesens und die dunkle Quelle alles Lebens, dort standen die Bilder der G?tter und die Tafeln der Gesetze. Oh, wie hatte ich das nur einen Augenblick vergessen k?nnen! Ich war ja schon so lange Zeit unterwegs nach jenem Asien, ich und viele M?nner und Frauen, Freunde und Fremde.

Leise sang ich unser Reiselied vor mich hin: ,,Wir fahren nach Asien!" und ich gedachte des goldenen Drachens, des ehrw?rdigen Bobaumes und der heiligen Schlange.

Freundlich sah mich mein Vater an und sagte: ,,Ich lehre dich nicht, ich erinnere dich nur." Und indem er es sagte, war er nicht mein Vater mehr, sein Gesicht l?chelte eine Sekunde lang genau so wie das Gesicht, mit welchem in den Tr?umen unser F?hrer, der Guru, zu l?cheln pflegt, und im selben Augenblick erlosch das L?cheln, und das Gesicht war rund und still wie die Lotosbl?te und glich genau dem goldenen Bildnis Buddhas, des Vollendeten, und wieder l?chelte es, und es war das reife, schmerzliche L?cheln des Heilands.

Der neben mir lag und gel?chelt hatte, war nicht mehr da. Es war Tag, und alle Schl?fer hatten sich erhoben. Best?rzt raffte auch ich mich empor und irrte auf dem ungeheuren Schiff umher, zwischen fremden Menschen, und sah auf dem schwarz-blauen Meere Inseln mit wilden, gleissenden Kalkfelsen und Inseln mit wehenden hohen Palmen und tiefblauen Vulkanbergen. Kluge, braune Araber und Malayen standen mit vor der Brust gekreuzten mageren H?nden, verneigten sich bis zum Boden und verrichteten die vorgeschriebenen Gebete.

,,Ich habe meinen Vater gesehen," rief ich laut, ,,mein Vater ist auf dem Schiff!"

Ein alter englischer Offizier in einem gebl?mten japanischen Morgenkleide sah mich aus hellblauen Augen gl?nzend an und sagte: ,,Ihr Vater ist hier und ist dort, er ist in Ihnen und ausser Ihnen, Ihr Vater ist ?berall."

Ich gab ihm die Hand und erz?hlte ihm, dass ich nach Asien fahre, um den heiligen Baum und die Schlange zu sehen und um in die Quelle des Lebens zur?ckzugehen, in welcher alles seinen Anfang nahm und welche die ewige Einheit der Erscheinungen bedeutet.

Aber ein H?ndler hielt mich eifrig an und nahm mich in Anspruch. Es war ein Englisch redender Singhalese, er zog aus einem K?rbchen kleine Lappenb?ndel hervor, die er auseinanderwickelte und aus denen kleine und grosse Mondsteine zum Vorschein kamen.

,,O Miss Wells," rief ich erfreut, ,,Miss Annie Wells, sind Sie denn auch hier?"

,,Wollen Sie mir einen Mondstein schenken, Deutscher?"

Ich griff schnell in die Tasche und zog den langen gestrickten Geldbeutel hervor, den ich als Knabe von meinem Grossvater bekommen und als J?ngling auf meiner ersten Italienreise verloren hatte. Es war mir lieb, ihn wiederzuhaben, und ich sch?ttete eine Menge silberner Ceyloner Rupien heraus; aber mein Reisekamerad, der Maler, von dem ich nicht gewusst hatte, dass er noch da sei und neben mir stehe, sagte l?chelnd: ,,Die k?nnen Sie als Hosenkn?pfe tragen, sie gelten hier keinen Cent."

Verwundert fragte ich ihn, wo er herkomme und ob er die Malaria wirklich ?berwunden habe. Er zuckte die Achseln und sagte: ,,Man sollte die modernen europ?ischen Maler alle einmal in die Tropen schicken, da k?nnten sie sich ihre Orangepalette wieder abgew?hnen. Gerade hier kommt man mit einer dunkleren Palette der Natur viel n?her."

Es war klar, und ich stimmte lebhaft bei. Aber die sch?ne Miss Annie hatte sich inzwischen im Gedr?nge verloren. Beklommen ging ich auf dem riesigen Schiffe weiter, wagte jedoch nicht, mich an einer Gruppe von Missionsleuten vorbeizudr?ngen, die im Kreise sitzend die ganze Deckbreite versperrten. Sie sangen ein frommes Lied, in das ich bald einstimmte, da ich es von Hause her kannte:

Darunter das Herze sich naget und plaget Und dennoch kein wahres Vergn?gen erjaget ...

Ich war damit einverstanden, und die schwerm?tig pathetische Melodie stimmte mich traurig, ich dachte an die sch?ne Amerikanerin und an unser Reiseziel Asien und fand so viel Ursache zur Ungewissheit und K?mmernis, dass ich einen der Missionare fragte, wie denn das nun sei, ob sein Glauben denn wirklich gut und auch f?r einen Mann wie mich zu brauchen sei.

,,Sehen Sie," sagte ich trostbegierig, ,,ich bin Schriftsteller und Schmetterlingssammler - -."

,,Sie irren sich," sagte der Missionar.

Ich wiederholte meine Erkl?rung. Aber auf alles, was ich sagen mochte, gab er mit einem hellen, kindlichen, bescheiden triumphierenden L?cheln dieselbe Antwort: ,,Sie irren sich."

Verwirrt floh ich davon. Ich sah, dass ich hier nicht zurecht kam, und ich beschloss, auf alles zu verzichten und meinen Vater zu suchen, der w?rde mir gewiss helfen. Wieder sah ich das Gesicht des ernsten englischen Offiziers und glaubte seine Worte zu h?ren: ,,Ihr Vater ist hier und ist dort, er ist in Ihnen und ausser Ihnen." Ich begriff, dass dies eine Mahnung war, und ich kauerte mich nieder, um mich zu versenken und meinen Vater in mir selbst zu suchen.

So sass ich still und versuchte zu denken. Allein es ging schwer, die ganze Welt schien auf diesem Schiffe versammelt, um mich zu st?ren. Auch war es furchtbar heiss, und ich h?tte gerne meines Grossvaters gestrickten Geldbeutel f?r einen frischen Whisky-Soda hingegeben.

Von diesem Augenblick an, wo sie mir zum Bewusstsein gekommen war, schien diese satanische Hitze best?ndig anzuschwellen wie ein furchtbarer, unertr?glich gellender Klang. Die Menschen verloren alle Haltung, sie soffen aus Korbflaschen gierig wie W?lfe, sie machten es sich auf die seltsamsten Arten bequem, und es geschahen rings um mich her unbeherrschte und sinnlose Taten; das ganze Schiff war offenbar im Begriff, wahnsinnig zu werden.

Der freundliche Missionar, mit dem ich mich nicht hatte verst?ndigen k?nnen, war zwei riesengrossen chinesischen Kulis zum Opfer gefallen und wurde von ihnen auf das schamloseste als Spielzeug ben?tzt. Sie wussten ihn durch einen heillosen Kunstgriff echt chinesischer Mechanik dazu zu bringen, dass er auf einen Druck hin seine gestiefelten F?sse zu seinem eigenen Mund herausstreckte. Auf einen anderen Druck hin hing er beide Augen lang wie W?rste aus den H?hlen, und als er sie wieder zur?ckziehen wollte, sah er sich dadurch verhindert, dass sie ihm Knoten darein geschlungen hatten.

Es war grotesk h?sslich, aber es focht mich weniger an, als ich gedacht h?tte, jedenfalls weniger als der Anblick, den Miss Wells mir bot, denn sie hatte sich ihrer Kleider entledigt und trug in ?berraschend draller Nacktheit nichts auf dem Leibe als eine wundervolle, braungr?ne Schlange, die sich rund um sie geringelt hatte.

Verzweifelt schloss ich die Augen. Ich hatte das Gef?hl, unser Schiff fahre sehr rasch abw?rts in einen gl?henden H?llenrachen.

Da h?rte ich, dem Herzen tr?stlich wie Glockengel?ut einem im Nebel verlaufenen Wanderer, vielstimmig ein feierliches Lied ert?nen, das ich alsbald mitsang. Es war das heilige Reiselied: ,,Wir fahren nach Asien," und es klangen darin alle menschlichen Sprachen, es rauschte darin alle Ehrfurcht, alle m?de Menschensehnsucht, die Not und das wilde Verlangen aller Kreatur. Ich f?hlte mich von Vater und Mutter geliebt, vom Guru geleitet, von Buddha gereinigt und vom Heiland erl?st, und ob das, was nun k?me, Tod sei oder Seligkeit, schien mir durchaus gleichg?ltig.

Ich erhob mich und tat die Augen auf. Um mich her waren sie alle, mein Vater, mein Freund, der Engl?nder, der Guru und alle, alle Menschengesichter, die ich je mit Augen gesehen. Sie schauten geradeaus, mit ergriffenen, sch?nen Blicken, und auch ich schaute, und vor uns tat ein vieltausendj?hriger Hain sich auf, aus himmelhoher Wipfeld?mmerung rauschte Ewigkeit, und tief in der Nacht des heiligen Schattens gl?nzte golden ein uraltes Tempeltor.

Da fielen wir alle auf die Knie nieder, unser Sehnen war gestillt und unsere Reise zu Ende. Wir schlossen die Augen, und wir beugten uns tief und schlugen unsere H?upter an die Erde, einmal, und wieder, und nochmals, in atemloser, rhythmischer Andacht.

Hart schlug meine Stirn auf und schmerzte, Lichtfunken drangen in meine Augen, und mein K?rper arbeitete sich m?hsam aus tiefer Erstarrung. Meine Stirn lag auf der h?lzernen Kante der Br?stung, unter mir d?mmerten bleich die rasierten Sch?del der chinesischen Zuschauer, die B?hne war dunkel, und Beifallgemurmel hallte in dem grossen Kinematographentheater wider.

Wir standen auf und gingen. Es war qu?lend heiss und roch durchdringend nach Kokos?l. Draussen aber wehte uns n?chtliche Meerluft, Lichtergeflimmer des Hafens und matter Sternenschein entgegen.

?berfahrt

Von Singapur aus fuhr ich auf einem kleinen holl?ndischen K?stendampfer ?ber den ?quator weg nach S?dsumatra. Die Sache begann mit Gep?ckschwierigkeiten am Pier und w?re beinahe im ersten Anfang schon verungl?ckt, denn kaum war das kleine Motorb?tchen, das uns und unsre vielen Kisten an Bord des Brouwer bringen sollte, vom Pier abgestossen, so fuhr uns ein etwas gr?sseres Boot in eiliger Konkurrenz so wild mitten in der Breitseite an, dass wir alle ?bereinander fielen und schon ans Schwimmen dachten. Es war jedoch wider alle Wahrscheinlichkeit Gerechtigkeit geschehen und der Angreifer war der Gesch?digte; mit einem grossen Loch im Bug musste er abziehen.

Auf dem Brouwer waren wir zu dreien die einzigen Passagiere der ersten Klasse und hatten das Schiff f?r uns wie eine Privatjacht. Das kleine Hinterdeck ward mit holl?ndischer Behaglichkeit f?r uns eingerichtet, ein weiss gedeckter Tisch mit altv?terischen Lehnst?hlen, daneben vier von den nicht genug zu lobenden asiatischen Liegest?hlen mit Holzgestellen zum Hochlegen der Beine, weiter zwei naive biedere Kanapees mit weiss und rot gestreiften Bez?gen. Die gesamte Bedienung war malayisch, und alsbald wurde uns von drei aufmerksamen, geschickten, h?bschen Javanen eine erste Mahlzeit aufgetragen, ein ?beraus reichhaltiges, solides Reisessen, das ich nach den schlimmen Schaubroten der indischen Gasth?fe mit Dankbarkeit begr?sste. In den Hotels der Straits und Malay States wird man ?berall von chinesischen Boys bedient, die fast ebenso schlecht und lieblos servieren wie europ?ische Kellner in einem Durchschnittshotel. Die Javanen hier waren dagegen um unser Wohlergehen mit der einschmeichelnden Treue guter Krankenschwestern bem?ht, sie umkreisten uns best?ndig mit Aufmerksamkeit und kamen jedem kleinsten Bed?rfnisse l?chelnd und ohne Hast zuvor; sie trugen uns Speisen auf, boten das Beste mit bescheidener Geb?rde lobend an, schenkten jedes Trinkglas nach jedem Schluck wieder sorglich voll, verteilten den Rest der gemeinsamen Flasche mit liebevoller Gerechtigkeit zwischen uns dreien, sch?tzten uns vor der Sonne und vor dem Winde, standen augenblicks mit brennendem Streichholz bereit, wenn eine Zigarre ausgegangen war, und alle ihre Mienen und Bewegungen dr?ckten weder widerwilliges Diensttun noch feige Sklaverei aus, sondern eitel freudige Dienerschaft und ergebenstes Wohlwollen.

Mittschiffs lagen drei Chinesen und spielten Karten, ohne zu sprechen, aber genau mit demselben leidenschaftlich hoffenden Auftrumpfen der guten und demselben resigniert ?rgerlichen Hinschmeissen der schlechten Bl?tter, wie man es bei schw?bischen Soldaten, bayrischen J?gern und preussischen Matrosen sieht. Eine Malayenfamilie aus Tonkal lag auf ihrer Reisebastmatte: ein Grossvater, ein Elternpaar, vier Kinder. Die Kinder hatten es gut, sahen wohlgehalten aus und trugen Halsketten und silberne Fussspangen. Beim Sonnenuntergang suchte sich der Grossvater einen freien Raum, verneigte sich, kniete nieder, erhob sich wieder und vollzog mit langsamer W?rde die ?bungen des abendlichen Gebets. Sein alter R?cken kr?mmte und streckte sich in genauem Gleichtakt, sein roter Turban und sein spitzer grauer Bart standen scharf in der einbrechenden D?mmerung. Wir setzten uns mit den beiden Offizieren zu einem reellen holl?ndischen Abendessen. Sterne kamen herauf, das Meer dunkelte tiefschwarz und die zackigen Silhouetten der kleinen Berginseln waren kaum mehr zu erf?hlen. Wir waren still geworden und w?ren gerne zu Bett gegangen, doch war es allzu heiss, wir sassen alle ruhig und waren nass vom unabl?ssig rieselnden Schweiss.

Wir bestellten Whisky und hatten kaum danach gerufen, so sprang schon einer der l?ngst auf Deck schlafenden Jonges auf und lief nach Schnaps und Sodawasser.

An hundert Inseln vor?ber fuhren wir durch die br?tende Nacht, manchmal von Leuchtt?rmen begr?sst, wir nippten am lauen Getr?nk, rauchten holl?ndische Zigarren und atmeten langsam und unwillig unter dem heissen schwarzen Himmel. Wir sprachen hin und wieder ein Wort, ?ber das Schiff oder ?ber Sumatra, ?ber Krokodile und Malaria, aber es war keinem wichtig, und manchmal stand einer auf, trat an die Reling, liess die Asche seiner Zigarre ins Wasser fallen und suchte, ob in der Finsternis etwas zu sehen w?re. Und wir gingen auseinander und lagen jeder f?r sich, an Deck oder in der Kabine, und der Schweiss rann best?ndig an uns nieder, und f?r diese Nacht waren wir alle reisem?de und verstimmt.

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