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Words: 13451 in 5 pages
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Edition: 10
Auf dem Staatshof
Theodor Storm
Ich kann nur einzelnes sagen; nur was geschehen, nicht, wie es geschehen ist; ich weiss nicht, wie es zu Ende ging, und ob es eine Tat war oder nur ein Ereignis, wodurch das Ende herbeigef?hrt wurde. Aber wie es die Erinnerung mir tropfenweise hergibt, so will ich es erz?hlen.
Die kleine Stadt, in der meine Eltern wohnten, lag hart an der Grenze der Marschlandschaft, die bis ans Meer mehrere Meilen weit ihre grasreiche Ebene ausdehnt. Aus dem Nordertor f?hrt die Landschaft eine Viertelstunde Weges zu einem Kirchdorf, das mit seinen B?umen und Strohd?chern weithin auf der ungeheueren Wiesenfl?che sichtbar ist. Seitw?rts von der Strasse, hinter dem weiss get?nchten Pastorate, geht quer durchs Land ein Fusssteig ?ber die Fennen, wie hier die einzelnen, fast nur zur Viehweide benutzten Landfl?chen genannt werden; von einem Heck zum andern, aber auf schmalem Steg ?ber die Gr?ben, durch welche die Fennen voneinander geschieden sind.
Hier bin ich in meiner Jugend oft gegangen; ich mit einer andern. Ich sehe noch das Gras im Sonnenscheine funkeln und fernab um uns her die zerstreuten Geh?fte mit ihren weissen Geb?uden in der klaren Sommerluft. Die schweren Rinder, welche wiederk?uend neben dem Fusssteige lagen, standen auf, wenn wir vor?bergingen, und gaben uns das Geleite bis zum n?chsten Heck; mitunter in den Trinkgruben erhob ein Ochse seine breite Stirn und br?llte weit in die Landschaft hinaus.
Zu Ende des Weges, der fast eine halbe Stunde dauert, unter einer d?stern Baumgruppe von R?stern und Silberpappeln, wie sie kein andres Besitztum dieser Gegend aufzuweisen hat, lag der "Staatshof". Das Haus war auf einer m?ssig hohen Werfte nach der Weise des Landes gebaut, eine sogenannte Heuberg, in welcher die Wohnungs- und Wirtschaftsr?ume unter einem Dache vereinigt sind; aber die Graft, welche sich ringsumher zog, war besonders breit und tief, und der weitl?ufige Garten, der innerhalb derselben die Geb?ude umgab, war vorzeiten mit patrizischem Luxus angelegt.
Das Geh?fte war einst neben vielen andern in Besitz der nun g?nzlich ausgestorbenen Familie van der Roden, aus der w?hrend der beiden letzten Jahrhunderte eine Reihe von Pfennigmeistern und Ratm?nnern der Landschaft und B?rgermeistern meiner Vaterstadt hervorgegangen sind.--Neunzig H?fe, so hiess es, hatten sie gehabt und sich im ?bermut vermessen, das Hundert voll zu machen. Aber die Zeiten waren umgeschlagen; es war unrecht Gut dazwischengekommen, sagten die Leute; der liebe Gott hatte sich ins Mittel gelegt, und ein Hof nach dem andern war in fremde H?nde ?bergegangen. Zur Zeit, wo meine Erinnerung beginnt, war nur der Staatshof noch im Eigentum der Familie, von dieser selbst aber niemand ?briggeblieben als die alternde Besitzerin und ein kaum vierj?hriges Kind, die Tochter eines fr?h verstorbenen Sohnes. Der letzte m?nnliche Sprosse war als f?nfzehnj?hriger Knabe auf eine gewaltsame Weise ums Leben gekommen; auf der Fenne eines benachbarten Hofbesitzers hatte er ein einj?hriges F?llen ohne Zaum und Halfter bestiegen, war dabei von dem scheuen Tier in die Trinkgrube gest?rzt und ertrunken.
Mein Vater war der gesch?ftliche Beistand der alten Frau Ratmann van der Roden.--Gehe ich r?ckw?rts mit meinen Gedanken und suche nach den Pl?tzen, die von der Erinnerung noch ein sp?rliches Licht empfangen, so sehe ich mich als etwa vierj?hrigen Knaben mit meinen beiden Eltern auf einem offenen Wagen ?ber den ebenen Marschweg dahinfahren; ich f?hle pl?tzlich den Sonnenschein mit einem k?hlen Schatten wechseln, der an der einen Seite von ungeheuren B?umen auf den Weg hinausf?llt; und w?hrend ich meinen kleinen Kopf ?ber die Lehne des Wagenstuhle recke, um den breiten Graben zu sehen, der sich neben den B?umen hinzieht, biegen wir gerade in die Schatten hinein und durch ein offenstehendes Gittertor. Ein grosser Hund f?hrt wie rasend an der Kette aus seinem beweglichen Hause auf uns zu; wir aber kutschieren mit einem Peitschenknall auf den Hof hinauf bis vor die Haust?r, und ich sehe eine alte Frau im grauen Kleide, mit einem feinen blassen Gesicht und mit besonders weisser Fr?se auf der Schwelle stehen, w?hrend Knecht und Magd eine Leiter an den Wagen legen und uns zur Erde helfen. Noch rieche ich auf dem dunkeln Hausflur den strengen Duft der Alantwurzel, womit die Marschbewohner zur Abwehr der M?cken allabendlich zu r?uchern pflegen; ich sehe auch noch meinen Vater der alten Dame die Hand k?ssen; dann aber verl?sst mich die Erinnerung, und ich finde mich erst nach einigen Stunden wieder, auf Heu gebettet, eine warme sommerliche D?mmerung um mich her. Ich sehe an den aus Heu und Korngarben gebildeten W?nden empor, die um mich her zwischen vier grossen St?ndern in die H?he ragen, so hoch, dass der Blick durch ein w?stes Dunkel hindurch muss, bis er aufs neue in eine matte D?mmerung gelangt, die zwischen zahllosen Spinngeweben aus einem Dachfensterchen hereinf?llt. Es ist das sogenannte Vierkant, worin ich mich befinde. Der zum Bergen des Heues bestimmte Raum im Innern des Hauses, wovon das Hofgeb?ude in unsern Marschen die eigent?mlich hohe Bildung des Daches und seinen Namen "Heuberg" oder "Hauberg" erhalten hat.--Es ist volle Sonntagsstille um mich her. Aber ich bin hier nicht allein; in der ged?mpften Helligkeit, die durch die offene Seitenwand aus der angrenzenden Loodiele hereinf?llt, steht ein M?dchen meines Alters; die blonden H?rchen fallen ?ber ein blaues Blusenkleid. Sie streckt ihre kleinen F?uste ?ber mir aus und bestreut mich mit Heu; sie ist sehr eifrig, sie st?hnt und b?ckt sich wieder und wieder. "So", sagt sie endlich und atmet dabei aus Herzensgrunde, "so, nun bist du bald begraben!" Und wie ich eine Weile regungslos daliege, sehe ich durch die lose mich bedeckenden Halme, wie sie ihr K?pfchen zu mir niederbeugt, und wie sie dann pl?tzlich kehrtmacht und sich zu einer alten B?uerin hinarbeitet, die mit einem Strickstrumpf in der Hand uns gegen?bersitzt. "Wieb", sagt sie, indem sie der Alten die Hand von der Wange zieht, "Wieb, ist er tot?"
Was die Alte darauf geantwortet, dessen entsinne ich mich nicht mehr; wohl aber, dass wir bald darauf durch einen dunkeln Gang auf den Hausflur und von dort eine breite Treppe hinauf in die obern R?ume des Hauses gef?hrt wurden, in ein grosses Zimmer mit goldgebl?mten Tapeten, in welchem viele Bilder von alten weiss gepuderten M?nnern und Frauen an den W?nden hingen. Meine Eltern und die ?brigen G?ste sind eben von einer gedeckten Tafel aufgestanden, die sich mitten im Zimmer unter einer grossen Kristallkrone befindet. Bald sitze ich, in eine Serviette gekn?pft, der kleinen Anne Lene gegen?ber; Wieb steht dabei und serviert uns von den Resten. Ich befinde mich sehr wohl; nur zuweilen st?rt mich ein Kr?chzen, das aus der Ferne zu uns her?berdringt. "H?re!" sage ich und hebe meine kleinen Finger auf. Die alte Wieb aber kennt das schon lange. "Das sind die Raben", sagt sie, "sie sitzen im Baumgarten, wir wollen sie nachher besuchen."--Aber ich vergesse die Raben wieder; denn Wieb teilt zum Dessert noch die Zuckertauben von einer Konditortorte zwischen uns; nur scheint es nicht ganz unparteiisch herzugehen, denn Anne Lene erh?lt immer die Hahnenschw?nze und die Kragentauben.
Etwas sp?ter sehe ich die Gesellschaft auf den geschlungenen Gartenwegen zwischen den bl?henden B?schen promenieren; die alte Dame mit der Fr?se, welche am Arme meines Vaters geht, beugt sich zu mir niedere und sagt, indem sie mir den Kopf aufrichtet: "Du muss dich immer h?bsch gerade halten, Kind!" Ich glaube noch jetzt, dass von dieser kleinen Ermahnung sich der fast scheue Respekt her schreibt, den ich, solange sie lebte, vor dieser Frau behalten habe.--Doch schon fasst Wieb mich bei der Hand und f?hrt uns weit umher auf den sonnigen Steigen; zuletzt bis zur Graft hinunter, an der ein gerader Steig entlang f?hrt. So gelangen wir zu einem Gartenpavillon, in welchem die Gesellschaft bei offenen T?ren am Kaffeetische sitzt. Wir werden hereingerufen, und da ich z?gere, nimmt meine Mutter einen Zuckerkringel aus dem silbernen Kuchenkorb und zeigt mir den. Aber ich f?rchte mich; ich habe gesehen, dass das h?lzerne Haus auf d?nnen Pf?hlen ?ber dem Wasser steht; bis endlich doch die vorgehaltene Lockspeise und die bunten Sch?ferbilder, die drinnen auf die W?nde gemalt sind, mich bewegen, hineinzutreten.
Mir ist, als h?tte ich es mit einem besonders angenehmen Gef?hl mit angesehen, wie Anne Lene von meiner Mutter auf den Schoss genommen und gek?sst wurde. Sp?terhin m?gen die M?nner, wie es dort gebr?uchlich ist, zur Besichtigung der Rinder auf das Land hinausgegangen sein; denn ich habe die Erinnerung, als sei bald eine Stille um mich gewesen, in der ich nur die sanfte Stimme meiner Mutter und andre Frauenstimmen h?rte. Anne Lene und ich spielten unter dem Tische zu ihren F?ssen; wir legten den Kopf auf den Fussboden und horchten nach dem Wasser hinunter. Zuweilen h?rten wir es pl?tschern; dann hob Anne Lene ihr K?pfchen und sagte: "H?rst du, das tut der Fisch!" Endlich gingen wir ins Haus zur?ck; es war k?hl, und ich sah die B?sche des Gartens alle im Schatten stehen. Dann fuhr der Wagen vor; und in dem Schlummer, der mich schon unterwegs ?berkam, endete dieser Tag, von dem ich bei ruhigem Nachsinnen nicht ausser Zweifel bin, ob er ganz in der erz?hlten Weise jemals dagewesen, oder ob nur meine Phantasie die zerstreuten Vorf?lle verschiedener Tage in diesen einen Rahmen zusammengedr?ngt hat.
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